"Keine Fachprüfung in Menschenkenntnis"

Wittgenstein über Person und Technik

In: Personen – Ein interdisziplinärer Dialog, Beiträge des 25. Internationalen Wittgenstein-Symposiums, hrsg. von Christian Kanzian, Josef Quitterer und Edmund Runggaldier, Kirchberg am Wechsel (Austria) 2002, S. 118-120.

Abstract

Begriffe wie Denken, Wille, Schmerz und Bewusstsein, die in den Debatten um Person und Personalität von Bedeutung sind, untersucht Wittgenstein im Rahmen der Sprachspiele, in denen sie verwendet werden. Da Sprachspiele Worte, Tätigkeiten und Gegenstände zu Komplexen verknüpfen, in denen die Beschaffenheit der Gegenstände eine zwar nicht konstitutive, aber limitierende Rolle spielt, sind für die Sprachspiele, die von Personen handeln, auch die spezifischen Erscheinungsweisen von Personalität bedeutsam. Wittgenstein untersucht in diesem Zusammenhang, wie sich Regelhaftigkeit und Evidenz, Sicherheit des Urteils und Menschenkenntnis zueinander verhalten und er zeigt, dass die Ausdrucksformen von Personalität nicht im Sinne einer Technik beherrscht werden können. Da das Handeln in Sprachspielen mit seinen Momenten des Verstehens und Wissens für Wittgenstein elementar mit einem als Technik aufgefassten ‚Können‘ verbunden ist (vgl. PU,§150), erweist sich – so die Pointe meiner Überlegungen –, dass die Regelhaftigkeit der Sprachspiele an den Phänomenen der Personalität eine Grenze findet.

 

„Aber es gibt z.B. keine Fachprüfung in Menschenkenntnis.“

Wittgenstein MS 138,25a[4]

„Kann man Menschenkenntnis lernen? Ja; Mancher kann sie lernen. Aber nicht durch einen Lehrkurs, sondern durch ’Erfahrung’. — Kann ein Andrer dabei sein Lehrer sein? Gewiß. Er gibt ihm von Zeit zu Zeit den richtigen Wink. — So schaut hier das ’Lernen’ und das ’Lehren’ aus. — Was man erlernt ist keine Technik; man lernt richtige Urteilen. Es gibt auch Regeln, aber sie bilden kein System, und nur der Erfahrene kann sie richtig anwenden. Unähnlich den Rechenregeln.“

(Wittgenstein PU, S.575)

 

 

Leseprobe

  1. Vorbemerkung

Es ist eine weit verbreitete Intuition, dass denjenigen Wesen, die wir als Person bezeichnen oder denen wir Personalität zuschreiben, ein besonderer Wert zukommt und ein besonderer Schutz gebührt. So unterscheiden wir normalerweise die Kriterien, an denen sich ein angemessener Umgang mit Maschinen bemisst, von solchen, die uns beim Umgang mit Lebewesen leiten. Und unter diesen räumen wir den Wesen, in denen wir Persönlichkeit erkennen können, einen herausgehobenen Rang ein. Was aber verstehen wir unter ‚Persönlichkeit‘?

Mit Wittgenstein über den Begriff der Person nachzudenken, kann nicht darauf zielen, unmittelbar Kriterien zu gewinnen, um die Wesen, die als Personen gelten sollen, anhand bestimmter Eigenschaften zu identifizieren. Wittgensteins Suche nach Kriterien der Begriffsverwendung ist nicht normativ sondern deskriptiv; und zwar in dem Sinne, dass er das Feld der wirklichen und möglichen Verwendungen eines Wortes erprobt, um innere Mannigfaltigkeit und Grenzen der Wortverwendung freizulegen. Die Methode der grammatischen Beschreibung hat nicht zum Ziel, abschließende Kriterien zu identifizieren. Dennoch sind ihre Deskriptionen keine bloßen Wiederholungen des ohnehin Bekannten, im Gegenteil: sie führen vor Augen, dass der Raum einer Begriffsverwendung reichhaltiger ist als wir, getäuscht von einer zu schlichten Auffassung der Sprache, stets annehmen. Insofern sind Wittgensteins Untersuchungen, die sich im Umfeld der Begriffe Person, Bewusstsein, Wille und Schmerz bewegen, wertvolle Ansatzpunkte, um das Feld zu vermessen, in dem sich auch ethische, juristische und politische Diskussionen bewegen.

  1. Sprachspiel und Gegenstand

Die Bedeutung von Worten aus dem Gebrauch und den Gebrauch als Handeln in einer Situation kenntlich zu machen, heißt in erster Linie, konkrete Gegebenheiten zu beschreiben, in denen eine bestimmte Verwendung nachvollziehbar ist, gelehrt und gelernt werden kann. Die Schilderung einer solchen Situation kann sich deshalb nicht darauf beschränken, Worte und Sätze zu bezeichnen, sondern bezieht auch die Tätigkeiten und Gegenstände ein, die mit dem Gebrauch der Worte verbunden sind. Zu den einfachsten Sprachspielen gehören Gegenstände, auf die unmittelbar hingewiesen werden kann, wie Steine verschiedener Farbe und Form. Die Regeln des ‚Spiels‘ werden zwar nicht durch die Eigenschaften der involvierten Gegenstände bestimmt; das regelgemäße Handeln ist aber auch nicht unabhängig davon, wie die Dinge beschaffen sind und sich verhalten: „Die Prozedur, ein Stück Käse auf die Waage zu legen und nach dem Ausschlag der Waage den Preis zu bestimmen, verlöre ihren Witz, wenn es häufiger vorkäme, daß solche Stücke ohne offenbare Ursache plötzlich anwüchsen oder einschrumpften.“ (PU,§142)

Der Zusammenhang zwischen der Beschaffenheit der Gegenstände und den Regeln des ‚Spiels‘ mag zunächst sehr schwach erscheinen, es läßt sich jedoch zeigen, dass die Bedeutung von Worten, ihr Gebrauch, mit den Tätigkeiten, in die er eingebettet ist und die wiederum in bestimmter Weise mit Gegenständen bestimmter Beschaffenheit verknüpft sind, einen Gesamtkomplex bildet, dessen Teile aufeinander abgestimmt oder eingerichtet sind. So ist beispielsweise der Begriff der Zahl mit dem Erlernen des Zählens verbunden und dieses wiederum mit Gegenständen bestimmter Art. Wittgenstein notiert dazu (am 2. Januar 1948): „”Wir lernen die Bedeutung, den Gebrauch der Wörter unter gewissen Umständen. Es lernt z.B. jeder die Farbwörter in einer Welt, in welcher …” (…) Das Problem, [das| was] uns hier beunruhigt, ist das gleiche, wie das in der Betrachtung[: ”Du kannst Menschen zählen lehren, wenn die Dinge in ihrer Umgebung nicht im fortwährenden schnellen Entstehen und Vergehen begriffen sind.” (…) Es ist natürlich möglich, zu sagen: ”Lehre einen an Fingern, Stäbchen, Bohnen, rechnen; nicht an den Haaren eines Fells, den Tropfen eines Regengusses, den Funken eines Schmiedenfeuers Aber warum? Man kann verschiedenes sagen. Eines ist: Er wird an diesen Dingen den Begriff der Anzahlen nie verstehen lernen. [D.h., nicht erlernen, die Zahlwörter zu verwenden.| D.h., die Technik des Verwendens der Zahlwörter nicht erlernen.| D.h., das Verwenden der Zahlwörter nicht erlernen.]“ (WN 136,47b-136,48b)

  • Gegenstand und Person

In Wittgensteins Sichtweise bedeutete es, eine jener dem Theoretisieren eigentümlichen Verkürzungen vorzunehmen, wenn man nun begänne, das Wesen von Dingen, Zahlen und Personen zu bestimmen. Stattdessen fordert Wittgensteins Sprachspieldenken, den Gebrauch der Begriffe im Zusammenhang mit anderen Worten, Tätigkeiten und Gegenständen in seinen mannigfaltigen Formen zu erforschen.

Beginnt man damit, das Feld um den Begriff Person auszuloten, so ist zunächst einmal zu bemerken, dass das Hinweisen und Bezugnehmen auf Personen in vielen Fällen ganz ähnlich geregelt sein kann, wie das auf jeden anderen Gegenstand auch. Doch es gibt andere sprachliche Tätigkeiten, die für die Bezugnahme auf Personen eigentümlicher sind: Im Blauen Buch entwirft Wittgenstein ein Sprachspiel, um Kriterien für die Rede von der Identität der Person zu erproben. Er stellt eine Situation vor, in der sich alle menschlichen Körper gleichen, während bestimmte Charakterzüge von einem Körper zum anderen wandern. „Unter solchen Umständen wäre es zwar möglich, den Körpern Namen zu geben, jedoch unsere Neigung, das zu tun, wäre vielleicht ebenso gering wie die, den Stühlen in unserem Esszimmer Namen zu geben. Andererseits könnte es nützlich sein, den Gruppen von Charakterzügen Namen zu geben, und der Gebrauch dieser Namen würde ungefähr den Personennamen in unserer gegenwärtigen Sprache entsprechen.“ (BlB, S. 99)

Das Kriterium der „Charakterkontinuität“ (Schulte 1989, 182) ist nur eines von verschiedenen Kriterien der Personenidentität (vgl. PU, §404). Es zeigt sich jedoch schon in diesem Gedankenspiel, dass für die Verwendung nicht die physische Identität ausschlaggebend ist: wir neigen eher dazu, das ‚Unstofflich-Charakterische‘ als das ‚Materiell-Gleichförmige‘ mit Personennamen zu belegen. Natürlich denkt Wittgenstein bei solchen Charakterzügen nicht an ideale Entitäten, sondern an konkrete Äußerungen des Verhaltens und Benehmens. Solche aber, so wendet er gegen Carnap ein, lassen sich nicht auf physische Gegebenheiten reduzieren. Während es Carnaps erklärtes Ziel ist, Aussagen über Psychisches auf naturwissenschaftliche Sätze zurückzuführen, Unwägbares auf Messbares (wie der Metereologe den Laubfrosch durch das Barometer zu ersetzen trachtet) (vgl. Rust 1996,148f), zeigt Wittgenstein, dass die Sprachspiele im Bereich des Begriffs Person mit Verhaltensweisen verbunden sind, die eine andere Qualität haben und eigentümliche Schwierigkeiten aufwerfen:

„Man kann eine Veränderung eines Gesichts merken und mit den Worten beschreiben, das Gesicht habe einen härteren Ausdruck angenommen, — und doch nicht imstande sein, die Änderung mit räumlichen Begriffen zu beschreiben. Dies ist ungeheuer wichtig. — Vielleicht sagt nun jemand: wer das tut, beschreibe eben nicht die Veränderung des Gesichts, sondern nur der Wirkung auf ihn selbst; aber warum sollte dann eine Beschreibung durch Form- und Farbbegriffe nicht auch dies sein?

Man kann auch sagen ”Er machte dieses Gesicht”, oder ”Sein Gesicht veränderte sich so”, indem man’s nachmacht, — und ist wieder nicht imstande, die Veränderung anders zu beschreiben. ((Es gibt eben viel mehr Sprachspiele, als Carnap und andere sich träumen lassen.))“ (BPP,I,919-920)

Insofern wir also mit dem Begriff Person Wesen bezeichnen, die charakteristische Züge aufweisen, befinden wir uns in einem Typ von Sprachspiel (ich werde darauf zurückkommen, inwiefern es verschiedene Arten von Sprachspielen gibt), der sich auf zweifache Weise von den einfachsten Sprachspielen unterscheidet: zum einen ist das Phänomen, um das es geht, so beschaffen, dass es sich einer Explikation in physikalisch-räumlichen Begriffen entzieht, zum anderen sind die Ausrucksformen, die wir tatsächlich einsetzen, gerade nicht von der Art empirisch verifizierbare Sätze.

  1. Person, Charakter und Gesicht

Was macht Charakterzüge zu Phänomenen, die sich einer räumlich-physikalischen Sprache entziehen? Die charakteristischen Züge, die beispielsweise als Kompositionen von „Sanftheit, zusammen mit einer hohen Stimme und langsamen Bewegungen, – oder ein cholerisches Temperament, eine tiefe Stimme und ruckartige Bewegungen“ (BlB,99) beschrieben werden könnten, zeigen sich natürlich körperlich, im Ausdruck von Haltung, Stimme, Mimik. Ein Ausdruck ist aber kein fixer Zustand, der sich ausmessen ließe. Das lässt sich besonders deutlich an Versuchen zeigen, Robotern mit einem Gesicht und Minenspiel zu versehen, das diskrete Zustände in den Maßverhältnissen erzeugt, die einem emotionalen ‚Raum‘ korrespondieren. Der Ausdruck der Freude, des Ärgers oder der Sorge können – als statische Bilder – kaum identifiziert werden.

[siehe Bild unten]

(„Kismet“ ist der Personenname (?) eines Roboters, der am MIT entwickelt wurde, um die technische Realisierbarkeit von Gesichtsausdrücken zu erforschen.)

Wittgenstein spielt solche Versuche als Gedankenexperiment durch und notiert (am 1. Januar 1948): „Ist es so, als wollte man sich einen Gesichtsausdruck vorstellen, der nicht allmählicher zarter Veränderungen fähig wäre, sondern, sagen wir, nur fünf Stellungen hätte; bei einer Veränderung ginge die eine mit einem Ruck in die andere über. Wäre nur dies starre Lächeln wirklich ein Lächeln? Und warum nicht? — Ich könnte mich vielleicht nicht so dazu verhalten wie zu einem Lächeln, Es wurde mich [etwa|vielleicht] nicht selber zum Lächeln bringen. Ein vollkommen starrer Gesichtsausdruck könnte kein freundlicher sein. Zum freundlichen Ausdruck gehört die Veränderlichkeit und die Unregelmäßigkeit. Die Unregelmäßigkeit gehört zur Physiognomie. Die Wichtigkeit für uns der feinen Abschattungen des Benehmens.“ (WN,232,657)

Dabei ist wichtig zu beachten, dass diese nuancierte Variabilität des Benehmens auch durch keine unendlich differenzierte Auflösung in Zwischenstufen, die einen kontinuierlichen Fluss im Minenspiel erlaubte, zu gewinnen ist. Ein vollkommen animiertes Gesichtsbild, das ohne jede Einbettung in einen situativen Zusammenhang seine Gestalt veränderte, ist noch immer ein Grenzphänomen: es zeigt zwar differenzierte Ausdrucksformen, jedoch bleiben diese Formen maskenhaft, solange in ihnen kein Verhalten zu einem Gegenüber, zu einer Umgebung Gestalt gewinnt. Wittgenstein illustriert die besondere Verfassung der Umgebung, in denen die Sprachspiele von Persönlichkeit und Ausdrucksverhalten stehen, mit einem Bild, das andeutet, warum wir uns hier zwar auskennen können, dieses Auskennen aber nicht in technisch reproduzierbare Zustände umgesetzt werden kann (Notiz vom 1. Januar 1948): „Wir beurteilen eine Handlung nach ihrem Hintergrund im menschlichen Leben, und dieser Hintergrund ist nicht einfärbig, sondern wir könnten ihn uns als ein sehr kompliziertes filigranes Muster vorstellen, das wir zwar nicht nachzeichnen könnten, aber nach seinem allgemeinen Eindruck wiedererkennen.“ (WN,232,754)

  1. Menschenkenntnis, Technik und Person

Wittgensteins Bemerkungen zur Menschenkenntnis sind geeignet, ein Licht darauf zu werfen, dass die Worte, mit denen wir von Personen und ihren Eigenschaften sprechen, in einer Weise verwendet werden, die sich von einfacheren Sprachspielen unterscheidet. Ein solches ‚einfaches‘ Sprachspiel zu erlernen heißt, in konkreten Einführungssituationen eine praktische Kompetenz zu erlangen, die die Fertigkeit verleiht, Worte als Züge in einem ‚Spiel‘ ein- und in Handlungen umzusetzen. Daher resümiert Wittgenstein: „Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen. Eine Sprache verstehen, heißt, eine Technik beherrschen.“ (PU,§199) Ob jemand die Bedeutung eines Wortes versteht, ist daran zu ersehen, ob er sich auf dessen ‚Anwendung‘ versteht, ob er zeigt, dass er weiß, wie demnach zu handeln ist. Die Bedeutung von ‚Platte‘, ‚Würfel‘, ‚Farbtafel‘ und ‚Käsestück‘ sind nur dem zugänglich, der mit solchen Gegenständen den Regeln des Sprachspiels gemäß umgehen kann.

Das Phänomen der Menschenkenntnis bildet hier eine Ausnahme: „Kann man Menschenkenntnis lernen? Ja; Mancher kann sie lernen. Aber nicht durch einen Lehrkurs, sondern durch ‚Erfahrung‘. — Kann ein Andrer dabei sein Lehrer sein? Gewiß. Er gibt ihm von Zeit zu Zeit den richtigen Wink. — So schaut hier das ‚Lernen‘ und das ‚Lehren‘ aus. — Was man erlernt ist keine Technik; man lernt richtige Urteilen. Es gibt auch Regeln, aber sie bilden kein System, und nur der Erfahrene kann sie richtig anwenden. Unähnlich den Rechenregeln.“ (PU,S.575)

Das Urteil des Menschenkenners, der z.B. einen echten von einem geheuchelten Ausdruck zu unterscheiden vermag, ist auf eine andere Weise gewonnen als eine Technik – etwa die des Zählens – erlernt wird. Von einer Jury gefragt, worauf sich seine Einschätzung stützt, könnte der Kenner keine Kriterien unmittelbar angeben, an denen er sie gewonnen hat und die sie nachvollziehen könnte (vgl. LS,927). Die Evidenz bleibt hier – wie Wittgenstein sagt – „unwägbar“ (PU, S.575f;LS,921ff), sie ist nicht auf allgemeine Regeln zum ‚Gebrauch‘ isolierbarer Elemente rückführbar. Das Urteil bewegt sich nicht in einem ‚Systemraum‘, sondern in dem filigranen Muster des menschlichen Lebens.

Gleichwohl sind solche Einschätzungen nicht aus der Luft gegriffen. Wittgenstein spricht auch von kumulativer Evidenz („Die kumulative Evidenz, die Rolle der Erfahrung. Der Erfahrene kann nicht seine Erfahrungen aufzählen.“ (WN,137,51b)) und meint damit die Erfahrenheit, die jemand gewinnt, der durch vielfach wiederholtes Betrachten und Vergleichen einen ‚Blick für etwas‘ entwickelt (vgl. LS, 924-938). Ein solcher ‚Blick‘ kann sehr differenziert und sicher sein. Was seine Urteile von anderen, beispielsweise denen im Sprachspiel des Messens unterscheidet (vgl. PU,§242), ist weniger die Konstanz der Ergebnisse als die Art wie sie gewonnen und vermittelt werden.

Wittgenstein notiert: „Bin ich weniger sicher, dass dieser Mann Schmerzen hat, als dass 2×2=4 ist? (…) Die Art der Sicherheit ist die Art des Sprachspiels.“ (PU,S.569) Und er deutet damit an, dass die Sprachspiele, die von Personen handeln, einen besonderen Typ von Sprachspiel bilden.

Persönlichkeit, insofern damit die Ausprägung charakteristischer Züge gemeint ist, entzieht sich der unmittelbar lehr- und lernbaren Praxis. Urteile und Einschätzungen sind hier darauf angewiesen, dass sich der Urteilende im differenzierten Muster der Verhaltensweisen auskennt; ein Auskennen, das eine im „Getriebe des Lebens“ (WN,137,54a) gewachsene Orientierung des ‚Blicks‘ zum Hintergrund hat. Die indirekte Weise, in der solche Urteile, die sich auf Personen beziehen, durch Hinweise und ‚Winke‘ vermittelt werden, deutet darauf, dass die Sprachspiele – insofern sie als in Techniken fundierte Handlungszusammenhänge betrachtet werden – das Phänomen der Persönlichkeit nicht vollständig zu durchdringen vermögen. Und dies gehört zu unserem Begriff von Person.

Literatur:

Budd, Malcom (1993), Wittgenstein’s philosophy of psychology, Routledge

Hiltmann, Gabrielle (1999), Aspekte sehen: Bemerkungen zum methodischen Vorgehen in Wittgensteins Spätwerk, Würzburg

Kogge, Werner (2002), ”Das Gesicht der Regel: Subtilität und Kreativität im Regelfolgen nach Wittgenstein”, in: Wittgenstein – Jahrbuch 2001, Frankfurt/M. u.a.

Leder, Matthias (1999), Was heißt es, eine Person zu sein?, Paderborn

Rust, Alois (1996), Wittgensteins Philosophie der Psychologie, Frankfurt/M.

Savigny, Eike von (Hrsg.) (1995), Wittgenstein über die Seele, Frankfurt/M.

Schulte, Joachim, Wittgenstein: Eine Einführung, Stuttgart 1989

Wittgenstein, Ludwig (1984), Werkausgabe in 8 Bd., hrsg. v. G.E.M. Anscombe, Rush Rees, G.H. v. Wright, Frankfurt/M.

Folgende Sigel beziehen sich auf diese Werkausgabe:

PU: Philosophische Untersuchungen, Werkausgabe Bd. 1

BlB: Das blaue Buch, Werkausgabe Bd. 5

BPP,I: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie, Band 1, Werkausgabe Bd. 7

BPP,II: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie, Band 2, Werkausgabe Bd. 7

LS: Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie, Werkausgabe Bd. 7

Wittgenstein, Ludwig (1994 – 2000), Wiener Ausgabe / hrsg. von Michael Nedo, Wien

Wittgenstein’s Nachlass (2000), The Bergen Electronic Edition, Oxford University Press

Sigel: WN

 

Zentrale Zitate

„Ist es so, als wollte man sich einen Gesichtsausdruck vorstellen, der nicht allmählicher zarter Veränderungen fähig wäre, sondern, sagen wir, nur fünf Stellungen hätte; bei einer Veränderung ginge die eine mit einem Ruck in die andere über. Wäre nur dies starre Lächeln wirklich ein Lächeln? Und warum nicht? — Ich könnte mich vielleicht nicht so dazu verhalten wie zu einem Lächeln, Es wurde mich [etwa|vielleicht] nicht selber zum Lächeln bringen. Ein vollkommen starrer Gesichtsausdruck könnte kein freundlicher sein. Zum freundlichen Ausdruck gehört die Veränderlichkeit und die Unregelmäßigkeit. Die Unregelmäßigkeit gehört zur Physiognomie. Die Wichtigkeit für uns der feinen Abschattungen des Benehmens.“

(Wittgenstein WN,232,657)

„Wir beurteilen eine Handlung nach ihrem Hintergrund im menschlichen Leben, und dieser Hintergrund ist nicht einfärbig, sondern wir könnten ihn uns als ein sehr kompliziertes filigranes Muster vorstellen, das wir zwar nicht nachzeichnen könnten, aber nach seinem allgemeinen Eindruck wiedererkennen.“

(Wittgenstein WN,232,754)