Forcierte Schließungen

Wittgenstein und der Weg vom mathematischen Formalismus in die moderne Genetik"

(gemeinsam mit Birgit Griesecke)

 In: Jeannie Moser, Karl-Josef Paz-zini, Marianne Schuller und Michael Wimmer (Hg.). Wahn. Wissen. Institution. Transcript Verlag, Bielefeld 2005, S. 27-55.

Einleitung

In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hat sich in der Philosophie, der Mathematik, der Kommunikationstheorie, der Psychologie und der Molekularbiologie ein wissenschaftliches Paradigma herausgebildet, das geschlossene, formale und durch Regeln determinierte Systeme privilegierte. Dieses Paradigma entfaltete sich über mehr als dreißig Jahre ausgehend von der formalen Logik und dem Grundlagenstreit der Mathematik in den frühen 20er Jahren, über die ‚theoretische Erfindung des Computers‘ durch Turing 1936, die Entzifferungstechniken feindlicher Codes im zweiten Weltkrieg, die Entstehung von Kybernetik und Spieltheorie Mitte der 40er Jahre bis hin zur Verwandlung der Genetik in eine Informationswissenschaft in den 50er Jahren. Dieses formalistisch-informationstechnische Paradigma prägte dann die weitere wissenschaftliche und geistesgeschichtliche Entwicklung des 20. Jahrhunderts, bis hin zu der Frage nach dem epistemologischen Status von Computer und genetischem Code, die in gegenwärtigen Debatten virulent ist.

In diesem Text gehen wir davon aus, dass ein enger epistemologischer Zusammenhang besteht zwischen dem Grundlagenstreit der Mathematik in den 20er Jahren, dem Entstehen der Kybernetik in den 40ern und der Transformation der Genetik in eine Informationswissenschaft in den 50er Jahren.

Das Konzept der ’Forcierten Schließung’ wird in diesem Kontext als gesteigerte Grenzziehung[1] verstanden und zwar in dem Sinne, dass über die normale Stabilisierung wissenschaftlicher Paradigmen (Kuhn) oder Denkstile (Fleck) hinaus eine forcierte Schließung erfolgt. Dies meint, dass die zentralen Strukturen der betreffenden forschungsleitenden Vorannahmen nicht nur mit spezifischen perspektivischen Erkenntnismöglichkeiten und Blindheiten verknüpft sind (was stets der Fall ist), sondern das Moment der Schließung selbst als konstitutives Element in ein wissenschaftliches Paradigma eingeht.

[1] Vgl. zur Forcierung von Grenzziehungen: Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, S. 153f. Werner Kogge, Die Grenzen des Verstehens: Kultur – Differenz – Diskretion, Weilerswist 2002, S. 289-325.

„Die Methode zu philosophieren ist sich wahnsinnig zu machen, und den Wahnsinn wieder zu heilen.“

(Ludwig Wittgenstein, WN 109,84)

Leseprobe

  1. Formalismus und die Grundlagenkrise der Mathematik

 

Über eine lange Zeit der Geschichte der Mathematik war es unbefragte Selbstverständlichkeit, dass Mathematik von Zahlen- und figürlichen Verhältnissen handelt, also von Eigenschaften,  die Gegenständen und Beziehungen in der erfahrbaren Welt zukommen. In der Moderne jedoch wurde seit der Einführung der Buchstabenalgebra bei Viète und der Ausformulierung der Idee einer universalen Kalkülsprache bei Leibniz[1] eine sukzessive Loslösung der mathematischen Entitäten von ontologischen Bestimmungen vollzogen.[2]  Der Formalismus, dessen Begründer und wichtigster Vertreter David Hilbert war, führt nun aber diese Entwicklung zu ihrem Höhepunkt und Abschluß. Im Formalismus bleibt unbestimmt, wovon die Mathematik handelt, ihre Zeichen sind ontologisch indifferent, es ist gänzlich gleichgültig ob es sich um Punkte, Zahlen, Ebenen oder – wie Hilbert witzelnd anmerkt – Bierseidel handelt.[3] Bereits in seiner frühen Arbeit Grundlagen der Geometrie (1899) hatte Hilbert gezeigt, dass sich die Geometrie als widerspruchsfreies System darstellen lässt – insofern sie auf die Arithmetik zurückzuführen ist, deren Widerspruchsfreiheit zu beweisen wäre. Damit sind zwei Problemstellungen angerissen, die für den Formalismus zentral sind: Erstens die Bedeutungsfreiheit und freie Transformierbarkeit der Zeichen und zweitens die Frage, wodurch die Zeichenoperationen ihre Legitimität erhalten, was für ihre Wahrheit und Sinnhaftigkeit bürgt.

Demgemäß lässt sich das formalistische Programm durch zwei Grundzüge charakterisieren: In einem ersten Schritt wird der mathematische Bereich einer durchgängigen Formalisierung unterzogen, d.h. in ein System von Axiomen und Schlussregeln überführt, die in einer aus einem endlichen Alphabet aufgebauten Zeichensprache ausgedrückt werden. Sodann lassen sich sämtliche symbolische Transaktionen wie auch mathematische Beweise als rein mechanische Umformungen von Zeichenketten gemäß der Schlußregeln durchführen.[4] Die Gegenstände der Mathematik sind damit nicht mehr Gedanken oder reale Verhältnisse, sondern die Zeichen selbst.

Die Loslösung von jeder ontologischen Bindung erbrachte den weitestmöglichen Spielraum für mathematische Konstruktionen. Hilbert betont immer wieder den Geist freier Schöpfung, der für die Mathematik bestimmend sei. Konkurrierende Auffassungen belegt er mit der Kennzeichnung „Verbotsdiktatur“.[5] Doch das freie Spiel der Konstruktion sollte keinesfalls dem Zufall oder – wie Frege gegen den Formalismus polemisch pointiert – der „Erdichtungswillkür“[6] überlassen sein. Die Wahrheit der Axiome, auf denen mathematische Systeme beruhen, spielt im Formalismus zwar, so Hilberts Antwort auf  Frege, keine Rolle, dennoch sind sie einem Wahrheitskriterium unterworfen: „Wenn sich die willkürlich gesetzten Axiome nicht einander widersprechen mit sämtlichen Folgen, so sind sie wahr, so existieren die durch Axiome definirten Dinge. Das ist für mich das Criterium der Wahrheit und Existenz.“[7] Wenn aber durch keine Beziehung zur außermathematischen Welt – seien es die Eigenschaften realer Dinge, unmittelbare Evidenzen oder Bewußtseinsstrukturen – die Wahrheit und Sinnhaftigkeit der Mathematik verbürgt ist, so kommt der Widerspruchsfreiheit die fundamentale und alleinige Aufgabe zu, die wissenschaftliche Dignität der Mathematik zu sichern. Der Beweis, dass die formalistische Mathematik als Ganze widerspruchsfrei ist, wurde deshalb zur zentralen Aufgabe dieses Forschungsprogramms.

Die Auseinandersetzung zwischen Formalismus, Intuitionismus und Logizismus in den 1920er Jahren, die unter dem Titel Grundlagenkrise der Mathematik bekannt geworden ist, beruht zu einem großen Teil auf dieser Zuspitzung des mathematischen Selbstverständnisses im Formalismus. Zwar weist Bettina Heintz[8] mit Recht darauf hin, dass die Gründe für die Wahrnehmung dieser Probleme als fundamentale Erschütterung nicht allein aus dem innermathematischen Kontext abzuleiten sind. Zum einen war die Problematik der Antinomien längst bekannt, bevor sie zu Beginn der 20er Jahre virulent wurde, zum anderen verschwand sie einige Jahre später wieder, ohne gelöst worden zu sein. Im Unterschied zu den Zeiten vor und nach der Krise, in denen Widersprüche als praktische Probleme der normalen wissenschaftlichen Arbeit behandelt wurden, gerieten sie in den 20er Jahren zu tiefgreifenden Erschütterungen, ohne deren Lösung ein Fortgang der Arbeit nicht möglich schien: Wahrheit, Gewissheit, Sicherheit und Sinn wurden als gefährdet angesehen und es stellte sich die Frage, wo, wenn nicht in der Mathematik, ein stabiles Fundament für sicheres Wissen garantiert sein könnte.

Doch ist die Problematik, wie sie der formalistischen Auffassung entspringt, weder allein aus Sachzwängen innerhalb der Wissenschaft noch auf die Stimmung des sozialen Umfelds zurückzuführen. Vielmehr ist für diese Konstellation von Motiven charakteristisch, dass sie die Grenze zwischen Internalismus und Externalismus überschreitet. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist nämlich ein eigentümliches Paradoxon, das der formalistischen Programmatik innewohnt: Bei aller Betonung der Konstruktivität der Mathematik, des Schöpfertums des Mathematikers und der gänzlichen Bedeutungsfreiheit der mathematischen Elemente, war Mathematik für Hilbert doch nicht nur l’art pour l’art, doch nicht nur selbstgenügsames Spiel auf höchstem gedanklichem und ästhetischem Niveau. Vielmehr sollte dieser losgelöste, dieser weltlose Formalismus zugleich von höchster Relevanz für die Wirklichkeitsauffassung sein, ja: mit der Wahrheit der Wirklichkeit zusammenfallen. Sämtliche Wissenschaft, so Hilbert bereits 1917 sollte sich demgemäß in ihrem Kern mathematisch formulieren lassen:

„Ich glaube: Alles was Gegenstand des wissenschaftlichen Denkens überhaupt sein kann, verfällt, sobald es zur Bildung einer Theorie reif ist, der axiomatischen Methode und damit unmittelbar der Mathematik. […] In dem Zeichen der axiomatischen Methode erscheint die Mathematik berufen zu einer führenden Rolle in der Wissenschaft überhaupt.“[9]

1930 – der Grundlagenstreit ist bereits zugunsten des Formalismus entschieden – ist nun nicht mehr nur die Wissenschaft, sondern das Denken insgesamt auf formalistische Operationen zurückzuführen, da, so Hilbert, „unser Verstand keinerlei geheimnisvolle Künste treibt, vielmehr nur nach ganz bestimmten, aufstellbaren Regeln verfährt – zugleich die Gewähr für absolute Objektivität seines Urteilens.“[10]

Wie ein Formalismus, der sich auf ein mechanisches Umformen von bedeutungsfreien Zeichenketten ohne jede Bedeutung beschränkt, zugleich die gesamt Sphäre des sachhaltigen Denkens und Wissens umgreifen soll, kann Hilbert nur mit einem vagen Verweis auf die ‚prästabilierte Harmonie‘ zwischen Geist und Welt beantworten.[11] Der Geist in der freiesten aber vollkommen regelhaften Schöpfung von durchgängiger, widerspruchsfreier Ordnung produzierte demnach die Strukturen, die auch der Wirklichkeit zugrundeliegen. Doch was bedeutete dies für letztere, wenn dem so wäre? Hätte sich Hilberts Programm umsetzen lassen, hätte sich „ein finiter Widerspruchsfreiheitsbeweis“[12] der formalistischen Mathematik erbringen lassen, hätte – wie Herbert Mehrtens treffend formuliert – die „reine Mathematik … die Wahrheit ihrer Wahrheit erweisen“[13] können, so wäre die Mathematik, als menschliche Unternehmung, an ihr Ende gelangt. Denn die Überführung sämtlicher mathematischer Probleme in formalisierte Zeichenfolgen, die nach eindeutigen Regeln zu prozessieren sind, hätte die Mathematik als Ganze maschinisierbar gemacht;[14] alle offenen Fragen der Mathematik wären letztlich durch eine Maschine berechenbar gewesen.

Mit der Mathematik wäre aber zugleich das Begreifen der Wirklichkeit eine Sache maschineller Berechnung geworden. Wenn nämlich ein der Wirklichkeit angemessenes Denken im Grunde ein Vorgehen im Modus formaler Operationen auf der Grundlage bestimmter Setzungen in einem finiten Zeichenrepertoire ist, dann ist dieses Denken insgesamt ebenso an eine Maschine deligierbar wie die Mathematik.

Es ist mehr als merkwürdig, dass im Herzen der modernen Mathematik, in der wirkungsmächtigsten Richtung derWissenschaft, die als Verkörperung von Rationalität selbst gilt, ein solches Programm forschungsleitend werden konnte. Zwar war die Abschaffung der Welt und die Abschaffung des Denkens in verschiedener Weise immer wieder das Projekt unterschiedlicher Strömungen in der abendländischen Geistesgeschichte gewesen; dabei aber zugleich die eigene Disziplin an ihr Ende zu führen und obsolet zu machen, hatte vielleicht nur – erstaunlicherweise – in der Philosophie Hegels einen Vorläufer (wenn auch – wie wir sogleich sehen werden – durchaus noch weitere Nachfolger). Doch selbst in diesen Abschlussfiguren manifestiert sich kein so elementarer Widerspruch wie der der formalististischen Mathematik, den freien Geist zu feiern und ihn gleichzeitig der Maschine zu überantworten. Hilberts Programm war es, mit seiner Beweistheorie „die Grundlagenfrage in der Mathematik endgültig aus der Welt zu schaffen“.[15] Was aber zugleich endgültig aus der Welt geschafft werden sollte, war der Widerspruch, das Offene und das Unentschiedene.[16]

 

Die „Probleme im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben“: davon ist auch Ludwig Wittgenstein in seinem Frühwerk, dem Tractatus logico philosophicus überzeugt. Noch klarer und noch expliziter als Hilbert führt Wittgenstein hier das Programm durch, sachhaltiges Denken, Wissen und Erkennen einem Rahmen formaler Verhältnisse einzugliedern. Nicht die Mathematik, sondern die Logik stellt hier den Hintergrund dieser Operation dar – eine Ausgangslage, die durch die philosophischen Versuche einer logischen Grundlegung der Mathematik durch Russell und Frege allerdings von der der Mathematik schon nicht mehr schlechthin zu trennen war.[17]

Der Ansatz des Tractatus logico philosophicus ist in vielen Punkten dem Ansatz der formalistischen Mathematik strukturell verwandt. Eine grobe Skizze des Gedankengangs soll einen Eindruck davon vermitteln, wie Wittgensteins Radikalisierung der Logik pointiert, was in der formalistischen Mathematik teilweise nur implizit angelegt ist. Als entscheidender Gedanke wird sich erweisen, dass der Formalismus, der in der Mathematik noch Arbeitsprogramm war, in Wittgensteins Logik zum vollendeten Strukturbild der Welt gerinnt. Eine vollständige logische Notation würde nicht nur die Ableitbarkeit und Berechenbarkeit aller anderen Sätze ermöglichen, sondern diese Verhältnisse auch unmittelbar darstellen, in vollkommene Präsenz heben: „In der Logik sind Prozeß und Resultat äquivalent.“ (T6.126).[18] Versuchen wir uns diese Überlegung in einigen Schritten klarer zu machen:

Ausgangspunkt des Tractatus war, dass die Welt aus Verbindungen von Gegenständen zu Sachverhalten besteht. Nicht alle möglichen Verbindungen treten in Wirklichkeit auf, sind – wie Wittgenstein sich ja bekanntlich ausdrückt – „der Fall“ (T1). Möglich ist alles, wovon sich sinnvoll sagen läßt, dass es sich so verhalten könnte. Und wie es sich verhalten könnte, ist durch die internen Eigenschaften des Gegenstandes vorgegeben (T2.012;2.0121; 2.0123).

Deshalb kann man, wenn man diese inneren Eigenschaften kennt, durch logische Analyse alle möglichen Sachverhalte voraussagen, in denen dieser Gegenstand auftreten kann. Die Logik liefert also eine formale Bestimmung aller Möglichkeiten der Welt (T2.012/2.0123). Sinnvolles Sprechen ist solches, das durch seine logische Form einen möglichen Sachverhalt der Welt bezeichnet (T3.323ff. Das heißt insbesondere, dass das logische Zeichen bedeutungsfrei bestimmt ist (T3.33). Nur so kann das logisch Mögliche und sinnvoll Aussagbare unabhängig vom Zutreffen oder Nicht-Zutreffen eines Sachverhalts bestimmt werden. Die Logik ist also unabhängig von der Wirklichkeit, unabhängig von aller Erfahrung. Sie kann nur in sich selbst gründen: „Die Logik muß für sich selber sorgen.“ (T5.473) Doch als durchgängige bestimmte Ordnung von Zeichen fällt sie – man achte auf die Verwandtschaft zu Hilberts Wendung – mit allem Geregelten der Welt zusammen: „Die Erforschung der Logik bedeutet die Erforschung aller Gesetzmäßigkeit. Und außerhalb der Logik ist alles Zufall.“ (T6.3) Da „der Satz die logische Form der Wirklichkeit“ zeigt (T4.121) und in der Welt nichts über die Logik hinausgehen kann, kann man auch sagen: „Die Logik erfüllt die Welt.“ (T5.61)

So stehen wir wiederum vor einer paradoxen Konklusion: Gerade das Merkmal der Sprache, das bedeutungsfreie, bloße Struktur oder Gesetzmäßigkeit ist, nämlich ihre logische Form, soll die Welt als Ganze durchdringen und abbilden. In Punkt 6.124 erläutert Wittgenstein, in welcher Weise die „logischen Sätze das Gerüst der Welt bilden“: „in der Logik drücken nicht wir mit Hilfe der Zeichen aus, was wir wollen, sondern in der Logik sagt die Natur der naturnotwendigen Zeichen selbst aus“. Die logische Struktur ist also keine Instanz, die Menschen festlegen oder geschichtlich ausbilden; die logische Struktur ist vielmehr die Struktur der Welt, der universale, ahistorische, autonome Möglichkeitsraum, in dem sich aus naturnotwendigen Zeichen ablesen lässt, was der Fall sein kann und was nicht. Hatte der mathematische Formalismus auf eine Maschine zu gesteuert, die prinzipiell alle Fragen der Mathematik zu beantworten imstande wäre, so kondensiert diese Maschine bei Wittgenstein in Strukturbildern, die stets nach denselben Regeln erzeugt werden.

 

Mit den Unvollständigkeits- und Unentscheidbarkeitsbeweisen von Gödel (1931), Church (1936) und Turing (1936) mußte das formalistische Programm Hilberts als gescheitert angesehen werden. Dennoch triumphierte es aber nicht nur gegenüber dem unmittelbaren Konkurrenten ‚Intuitionismus‘, sondern zeitigte auch wirkungsgeschichtlich  weit reichende Folgen. Mit Turings Beweis ging der Nachweis einer Entsprechung einher, die über den engeren Bereich der Mathematik hinauswies: formalisierte Systeme zeigten sich als prinzipiell mechanisierbar, formaler Kalkül und mechanische Technik wurden zu einer Einheit verschmolzen. Turings ‚Papiermaschine‘, mit der er den Algorithmusbegriff präzisierte, war zugleich die theoretische Erfindung des Computers und die Grundlage informationstheoretischer Modelle in der Molekularbiologie. Der Formalismus scheiterte zwar an der selbst gestellten Aufgabe, ein stabiles theoretisches Fundament zu entwickeln, brachte aber ein Instrument hervor, das technische Kontrolle und Steuerung in einer neuen Qualität ermöglichte. Wenige Jahre später, im zweiten Weltkrieg, in dem Turing an der Entzifferung deutscher Geheimcodes arbeitete, begann die technische Umsetzung des formalistischen Programms Realität zu werden.

 

Einen ganz anderen Weg nimmt Ludwig Wittgenstein. Im März 1928 hatte Wittgenstein in Wien einen Vortrag von Brouwer, dem intuitionistischen Gegenspieler von Hilbert gehört; ein Ereignis, das, wie Ray Monk berichtet, für seine Rückkehr zur Philosophie ausschlaggebend gewesen sein soll.[19] In der Folgezeit sprach Wittgenstein im Rahmen einiger Mitglieder des Wiener Kreises immer wieder über das Thema Widerspruchsfreiheit und Beweis. Verfolgt man diese Ausführungen, so wird offenbar, dass Wittgenstein seine Konzeption im Tractatus niemals als eine formalistische Grundlegung angelegt hatte, dass vielmehr das Motiv der konsequenten Eingrenzung des Bereichs der Logik bestimmend gewesen war. Gleichwohl bleibt der Anspruch des Tractatus, inwiefern das dort Ausgeführte etwas mit der Entdeckung von Sachverhalten zu tun hat, ambivalent. So kritisiert er bei einem Treffen am 9. Dezember 1931 eine Unklarheit in seinem Buch, die mit der „dogmatischen Darstellung“ einhergehe, nämlich die Auffassung, dass es in den logischen Elementarsätzen etwas zu entdecken gäbe: „Die falsche Auffassung, gegen die ich mich in diesem Zusammenhang kehren möchte, ist die, dass wir auf etwas kommen könnten, was wir heute noch nicht sehen, dass wir etwas ganz Neues finden können. Das ist ein Irrtum.“[20]

Hier zeichnet sich ab, wie nahe zwar einerseits Wittgensteins Denken noch den Grundannahmen ist, die auch den mathematischen Formalismus bestimmen, wie sehr es sich andererseits aber schon auf einem völlig anderen Weg befindet. Denn in Wittgensteins Kritik an Hilberts Forderung, die Widerspruchsfreiheit der Arithmetik zu beweisen, finden sich die Elemente seiner Selbstkritik in bezeichnender Weise wieder: „Man hat da die Vorstellung, als ob von Anfang an ein Widerspruch in den Axiomen versteckt sein könnte, den niemand gesehen hat, so wie die Tuberkulose: Man ahnt nichts, und eines Tages ist man tot. So meint man auch: Eines Tages könnte vielleicht der versteckte Widerspruch ausbrechen, und dann ist die Katastrophe da.“ (WWK, 120) Der Gedanke, dass es in der logischen Ordnung etwas Verdecktes oder Verborgenes geben, das zu entdecken wäre oder unheilvolle Wirkungen zeitigen könnte, beruht für Wittgenstein auf einem Grundirrtum über das Wesen von Logik und Mathematik. Denn in formalen Systemen gibt es, wie Wittgenstein an den Exempeln Brettspiel und euklidische Geometrie erläutert, lediglich zwei Möglichkeiten: Entweder bestehen Widersprüche in den expliziten Regeln, so sind sie unmittelbar einsehbar, oder aber sie erweisen sich erst im Fortgang des Spiels, in der Praxis der Regelanwendung: „Was machen wir in einem solchen Fall?“, fragt Wittgenstein, „Wir führen eine neue Regel ein, und damit ist der Konflikt entschieden.“ (WWK, 120)

Ein Widerspruch in einem logischen System kann für Wittgenstein nur in den Regeln des Systems liegen. Da Regeln aber keine anderen Ansprüche zu erfüllen haben als dass nach ihnen gespielt werden kann, tritt ein Widerspruch in den Regeln genau dann zu Tage, wenn im Spiel nicht fortgesetzt werden kann. D.h. dass es in rein formalen Regelwerken einen verdeckten und apriori entdeckbaren Widerspruch schlechthin nicht geben kann. Der Kalkül funktioniert oder funktioniert nicht – und wenn er nicht funktioniert, gibt es keinen Grund, warum nicht der Konflikt zwischen Regeln durch eine einfache Änderung behoben werden könnte.

Wittgensteins Auseinandersetzung mit dem formalistischen Projekt, die Widerspruchsfreiheit der Mathematik zu beweisen, wirft ein Licht darauf, dass die tiefsitzende Ambiguität dieses Unternehmens, programmatisch und praktisch auf vollkommene Formalisierung abzuzielen, im Selbstverständnis aber an allumfassenden ontologischen Implikationen festzuhalten, auf einer tiefgreifenden Selbstverkennung beruht. Denn ein Widerspruch in einem formalen Konstrukt, das tatsächlich jeden Weltbezugs enthoben ist, ist – wie Wittgenstein zeigt – ganz unproblematisch. Nur wenn man Mathematik nicht konsequent als freie Schöpfung auffasst, wenn man sie vielmehr – wie Hilbert – zugleich zum Fundament sachhaltigen Wissens und Denkens bestimmt, dann sind Widersprüche nicht nur Widersprüche in kontingent gesetzten Regeln, sondern erscheinen tatsächlich als „eine versteckte Krankheit“ (WWK 174), als ein „Abgrund“, in den wir „zwangsläufig“ und „rettungslos … hinabgleiten“ (WWK 201); der Widerspruch wäre tatsächlich das, wovor sich die Mathematiker am meisten fürchten, was ihnen „eine Art Albdruck“ (WWK 131) ist. Für Wittgenstein dagegen ist der Widerspruch in der Mathematik ein „Popanz“ (WWK 196), der zustande kommt, da die Mathematiker ihre eigene Tätigkeit nicht konsequent erfassen: „Die Mathematik ist immer eine Maschine, ein Kalkül. Der Kalkül beschreibt nichts. Er lässt sich auf das anwenden, auf was er sich anwenden lässt.“ (WWK 106) Mit dieser Klarstellung liefert Wittgenstein die systematische Begründung für den wissenschaftsgeschichtlichen Sachverhalt, dass das Scheitern des formalistischen Programms, die Widerspruchsfreiheit der Mathematik zu beweisen und damit die Mathematik zu einem unangreifbaren und alles tragenden Fundament von Wissenschaft und Denken zu machen, nicht zu einem Scheitern der formalistischen Praxis führte: Als Methode der Erfindung und Konstruktion bedeutungsfreier Formalismen ist die Mathematik durch Widersprüche überhaupt nicht zu gefährden.

 

Doch die Selbsttäuschung des formalistischen Denkens hat im Grundlagenstreit der Mathematik nur einen ersten Höhepunkt erreicht, in der Entwicklung von Kybernetik und moderner Molekularbiologie treibt sie weitere Blüten.

 

 

  1. Papiermaschinen, wirkliche Maschinen und die Steuerung des Lebendigen

 

Turings Papiermaschine, die die Unentscheidbarkeit der formalistischen Mathematik nachwies, erschloß dieser zugleich eine neue Dimension ihrer Anwendbarkeit: Die Maschine, die als Modell der Handlungen eines vollkommen regelhaft arbeitenden Mathematikers konzipiert war, läßt sich tatsächlich konstruieren und das bedeutet zugleich, dass jeglicher Prozess, sofern er nur in eindeutigen Regeln faßbar ist, einer automatischen Berechnung zugänglich wird. Als mathematischer Kalkül ist die Turing-Maschine aber nicht nur eine Vorlage zur Konstruktion automatischer Rechenmaschinen, sondern bietet sich zugleich als Modell an für alles, was in irgendeiner Weise informationsförmig und regelhaft prozessiert. So lag es nahe, den automatisierten Kalkül der formalistischen Mathematik auf solche Prozesse zu applizieren, in denen ebenfalls eine regelmäßige Selbsttransformation stattfindet, nämlich die biologischen Vorgänge der neuronalen Netze und Zellreplikation.

Die wissenschaftliche Formation, in der schließlich die Übertragung des mathematischen Modells auf die Gegenstände der Genetik stattfindet, weist einige charakteristische Züge auf, die im folgenden knapp skizziert werden, um deutlich zu machen, wie das Selbstverständnis des Formalismus als Erblast in die moderne Molekularbiologie einging.

 

Mitte der 40er Jahre bildete sich in den USA ein Forschungszusammenhang heraus, der ebenso von der Logik des Krieges[21] wie von der Idee automatischer Berechnung und Steuerung geleitet war. Das Label, unter dem sich hier verschiedene Strömungen und Ansätze versammelten, war Kybernetik, der Titelbegriff des 1948 publizierten Buches von Norbert Wiener Cybernetics: or Control and Communication in the Animal and the Machine, in dem sich die in den Jahren zuvor vielfach personell und inhaltlich verwobenen diskursiven Fäden von Ansätzen zur automatischen Steuerung von Geschützen (Wiener), zur Kontrolle neuronaler Prozesse (McCulloch/ Pitts), zur mathematischen Kommunikationstheorie (Shannon/ Weaver) und zur Selbstreplikation von Maschinen (von Neumann) bündelten.

Die enge Verknüpfung zwischen der Propagierung der neuen Disziplin Kybernetik durch Norbert Wiener und dem mathematischen Formalismus dokumentiert sich in die Figur John von Neumanns, dem Schüler Hilberts, der dessen Forderung, die Wissenschaften müssten auf die mathematisch-axiomatische Methode gegründet werden, in die Tat umsetzte und sowohl zur Ökonomie als auch zur Automatentheorie grundlegende Arbeiten verfasste. In intensiver Zusammenarbeit mit von Neumann konturierte Wiener die Kybernetik als eine Wissenschaft, die gleichermaßen von Maschinen, von Organismen und bestimmten Bereichen menschlichen Verhaltens handelte, da sie alle diese Systeme als informationsförmige, d.h. bedeutungsfreie, formale Logiken, deren Verkörperung letztlich beliebig ist, betrachtete. Mensch und Maschine wurden zu einem einheitlichen System im Paradigma der Maschine verschmolzen, die selbst wiederum mathematischer Steuerung unterworfen war. [22] Kybernetik, die Lehre von der Steuerung, kann also als Amalgam des mathematischen Formalismus und des psychologischen Behaviourismus betrachtet werden.

Ebenso wie die Grundlagenkrise der Mathematik steht die Entstehung der Kybernetik unter dem Vorzeichen einer Notlage. Für Wiener ging es nicht nur um den Kampf gegen den militärischen Feind, sondern dahinter stand eine weit umfassendere Bedrohung – der „Erzfeind … Desorganisation“.[23] Nach wie vor geht es um das elementare Gefühl einer Bedrohung von Ordnung überhaupt. Nach wie vor ist es die mathematische Wissenschaft, die als Bollwerk gegen diese Bedrohung in Stellung gebracht wird. Dennoch ist eine wichtige Akzentverschiebung zu bemerken: während der Orientierungsverlust der Zwischenkriegszeit mit einer Suche nach theoretischen Fundamenten und Beweisen verknüpft war, geht es in den 40er Jahren um technische Überwindung und Kontrolle. Die formalistische Mathematik, die sich theoretisch von der Welt abgetrennt hat, die wissenschaftlich in ihrem Begründungsanspruch gescheitert ist, kehrt technisch zur außermathematischen Welt zurück. Wiener entwickelte Rechenmaschinen, die die Raketenabwehr gegen feindliche Flugzeuge steuern sollten. Dazu integrierte er nicht nur die Bewegung von Flugzeug und Projektil, sondern auch das Verhalten von Piloten und Artelleristen in Schaltkreissysteme, die mit Rückkopplungsmechanismen arbeiteten. Im Anschluss an behaviouristische Grundannahmen wurden Psyche und Intentionalität aus diesem System ausgeschlossen, Menschen wurden als ‚black boxes‘ betrachtet, deren Verhalten von früherem Verhalten extrapoliert wurde. So konnten geschlossene Mensch-Maschinen-Systeme konstruiert werden, deren Verbindung zur außersystemischen Welt lediglich in den raum-zeitlichen Koordinaten des System-Inputs bestand.

Eine zentrale Rolle spielten für die Kybernetik die Vorgänge der Kommunikation, die Input und Output steuerten. Zur Entwicklung der kybernetischen Theoriebildung gehörte deshalb auch die mathematische Theorie der Kommunikation, die Shannon und Weaver zeitgleich mit Wieners ‚Kybernetik‘ veröffentlichten (eine Zeit lang war von der Wiener-Shannon-Kommunikationstheorie die Rede).[24] Zwei inhaltliche Parallelen sind hier bemerkenswert: in beiden Ansätzen gibt es keine außersystemische Referenz (Shannons Informationsbegriff ist dezidiert bedeutungsfrei) und beide verwenden an zentraler Stelle den Begriff der `Entropie´, setzen sich also mit dem Verhältnis von Ordnung und Unordnung auseinander.

Strukturell haben wir es bei Wieners Versuch, einen „AA-Prädikator“ – ein Anti-Aircraft-Vorhersagegerät –  zu konstruieren mit der gleichen Problemstellung zu tun, die auch Hilbert umgetrieben hat: wie kann von der Basis finiter Daten aus auf den ganzen Möglichkeitsraum der weiteren Entwicklung extrapoliert werden? Letztlich scheiterten Wieners Bemühungen daran, dass Mensch und Maschine sich nicht als geschlossenes System erwiesen, dessen zukünftige Zustände in ihrer Anfangssituation bereits determiniert wären: von dieser Situation ließ sich keine vollständige axiomatische Formulierung angeben und ebenso wenig fand sich eine endliche Zahl eindeutiger Regeln, die die weitere Entwicklung bedingt.

 

Wissenschaftsgeschichtlich ist gleichwohl zu notieren, dass, obwohl Wieners technische Bemühungen während des zweiten Weltkriegs ebenso scheiterten wie die Begründungsversuche des Formalismus[25], und obwohl Kybernetik als eigenständiges wissenschaftliches Programm eher eine Stilblüte der Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts blieb, der Erfolg des Steuerungsmodells in einem Feld durchschlagend war: in der Molekularbiologie, in der die Genetik zu einer Informationswissenschaft transformiert wurde.

 

 

  1. Die DNA als Programm des zellulären Prozesses

 

John von Neumann und Norbert Wiener sind zugleich Protagonisten der Verwandlung der Genwissenschaft in eine Informationswissenschaft. Auf der einen Seite war durch Kybernetik und Mathematik die Übernahme informationstheoretischer Termini in die Genetik befördert worden. Auf der anderen Seite zogen Molekularbiologen (u.a. Francis Crick, der Mitentdecker der Doppelhelix) das informationstechnische Paradigma heran, um die Ordnung zellulärer Mechanismen zu formalisieren und so „die Kontrolle des schmutzigen Durcheinanders“ der Biologie einer „unverdorbenen Metaebene“, dem kontrollierbaren Informationsfluß zu unterwerfen.[26] Ausgehend von interdisziplinären Arbeitszusammenhängen zwischen von Neumann, Wiener, Shannon, Gamow, Quastler, Monod, McCulloch, Delbrück, Ycas, Brenner u.v.a. wurde das informationstheoretische Paradigma in den 50er Jahren in der Genforschung leitend. Begriffe wie Code, Information, Text, Entzifferung bestimmten immer mehr die Struktur des Forschungsgegenstandes und der Methoden. Wie Lily Kay und Evelyn Fox-Keller in ihren Studien gezeigt haben, wurde der genetische ‚Code‘ zum Ort der Steuerung des Lebens, zu einer Kontrollinstanz, die den zellulären Prozess determiniert.[27] Die Übernahme der Logik geschlossener kybernetischer Systeme für die Zelle leitete die intensiven Bemühungen um die ‚Entzifferung‘ des genetischen Codes ein, die bis zur jüngst abgeschlossenen ‚Entschlüsselung‘ des menschlichen Genoms reichten.

[1] Vgl. Krämer, Sybille: Symbolische Maschinen. Die Geschichte der Formalisierung in historischem Abriß, Darmstadt 1988.

[2] Mehrtens, Herbert, ‚Anschauungswelt versus Papierwelt – Zur historischen Interpretation der Grundlagenkrise der Mathematik‘, in: Ontologie und Wissenschaft: Philosophische und wissenschaftshistorische Untersuchungen zur Frage der Objektkonstitution, hg. von Hans Poser und Hans-Werner Schütt, Technische Universität Berlin 1982/83, S. 240.

[3] Vgl. Heintz, Bettina: Die Herrschaft der Regel. Zur Grundlagengeschichte des Computers. Frankfurt/Main u.a. 1993, S. 26.

[4] vgl. Heintz 1993, S. 48f.

[5] Hilbert, David, ‚Neubegründung der Mathematik‘ (1922), in: Hilbertiana. Fünf Aufsätze von David Hilbert, Darmstadt 1964, S. 12-32, hier S. 14.

[6] Mehrtens, Herbert, Moderne – Sprache – Mathematik. Eine Geschichte des Streits um die Grundlagen der Disziplin und des Subjekts formaler Systeme, Frankfurt/Main 1990, S. 117.

[7] Mehrtens 1990, S. 122.

[8] Heintz 1993.

[9] Hilbert, David, ‚Axiomatisches Denken‘ (1918), in: Hilbertiana. Fünf Aufsätze von David Hilbert, Darmstadt 1964, S. 1-11, hier S. 11.

[10] Hilbert, David, ‚Probleme der Grundlegung der Mathematik‘ (1928), in: Hilbert Gedenkband, hg. von K. Reidemeister, Berlin u.a., S. 9-19, hier S. 19.

[11] Vgl. Mehrtens 1990, S. 125ff.

[12] Gödel, Kurt, ‚Diskussion zur Grundlegung der Mathematik‘, in: Collected Works, Vol. I, hg. von Solomon Feferman u.a., New York u.a. 1986, S. 204; zitiert nach Heintz 1993, S. 66.

[13] Mehrtens 1990, S. 130.

[14] Heintz 1993, S. 61.

[15] Mehrtens 1990, S. 129.

[16] Mehrtens 1990, S. 125.

[17] Hilbert dazu: „Da aber die Überprüfung der Widerspruchslosigkeit eine unabweisbare Aufgabe ist, so scheint es nötig, die Logik selbst zu axiomatisieren und nachzuweisen, dass Zahlentheorie und Mengenlehre nur Teile der Logik sind. Dieser Weg, seit langem vorbereitet – nicht zum mindesten durch die tiefgehenden Untersuchungen von Frege – ist schließlich am erfolgreichsten durch den scharfsinnigen Mathematiker und Logiker Russell eingeschlagen worden.“ Hilbert 1964, S. 8.

[18] Vgl. auch: „Der Beweis in der Logik ist nur ein mechanisches Hilfsmittel zum leichteren Erkennen der Tautologie, wo sie kompliziert ist.“ T 6.1262.

[19] Monk, Ray, Wittgenstein. Das Handwerk eines Genies, Stuttgart 1990, S. 269f.

[20] Wittgenstein, Ludwig, Wittgenstein und der Wiener Kreis, in: Werkausgabe in 8 Bänden, Bd. 3, Frankfurt/Main 1984, S. 183. Zitiert wird aus diesem Werk im Folgenden mit dem Sigel ‚WWK‘ im Text.

[21] Wie die ‚forcierte Schließung‘  des Formalismus sich in dieser Phase mit der Logik des Krieges verband, kommt in folgender Ausführung von Heinz von Foerster zum Ausdruck: „Wie aber nun so brilliante Denker, die diese neue Theorie geschaffen haben, die so verräterisch simpel ‚Informationstheorie‘ heißt, zwei Begriffe verwechseln und vermischen konnten, die sich semantisch so tiefgreifend unterscheiden wie die Begriffe ‚Signal‘ und ‚Information‘, ist schwer zu fassen, wenn wir uns nicht an die historischen Umstände der Entwicklung dieser Theorie erinnern: Diese Begriffe sind zugleich mit der Entwicklung der Universalrechner im zweiten Weltkrieg entstanden. In Kriegszeiten dominiert im allgemeinen eine bestimmte Art des Sprachgebrauchs – der Imperativ bzw. der Befehl – alle anderen (die Aussage, die Frage, der Ausruf) … Befehle [kann es] nur in einem trivialen System geben, für das gilt, dass jeder Output in eindeutiger Weise durch den Input determiniert ist [der behaviouristische Traum], in diesem Fall also durch den Befehl.“ Zitiert nach Kay 2001, S. 48 (Einfügungen von Kay).

[22] Vgl. Peter Galison: ‚Die Ontologie des Feindes. Norbert Wiener und die Vision der Kybernetik‘, in: Michael Hagner (Hg.), Ansichten der Wissenschaftsgeschichte, Frankfurt/ Main 2001, S. 433-485.

[23] Norbert Wiener, zitiert nach Galison 2001, S. 477.

[24] Vgl. Kay 2001, S. 238.

[25] Vgl. Galison 2001, S. 450f.

[26] Kay 2001, S. 57.

[27] Kay, Lily E.: ‚Wer schrieb das Buch des Lebens? Information und die Transformation der Molekularbiologie‘, in: Michael Hagner/ Hans-Jörg Rheinberger/ Bettina Wahrig-Schmidt (Hg.): Objekte, Differenzen und Konjunkturen. Experimentalsysteme im historischen Kontext, Berlin 1994. Kay 2001. Fox-Keller 1998. Fox-Keller 2001.

Zitat

„Von David Hilbert bis Walter Gilbert, über 60 Jahre, lässt sich so die Wirkungsgeschichte eines Paradigmas nachzeichnen, das das Denken, die Maschinen, die Körper und die biologischen Systeme bis in die molekularen Prozesse der Zelle zu erfassen sucht. Alle diese Versuche fußen auf der Annahme, dass eine endliche Basis formaler Strukturen und Regeln existiert, die das Denken, Sprechen und Leben determiniert.“