Einleitung zur Sektion "Leben machen/ Sterben lassen"
(gemeinsam mit Birgit Griesecke)
In: Menschenversuche. Eine Anthologie 1750-2000, hrsg. von Nicolas Pethes, Birgit Gries-ecke, Katja Sabisch und Markus Krause, Frankfurt/M., Suhrkamp Verlag, S. 277-310.
Abstract
Die Formel ‚Leben machen, sterben lassen‘ verweist auf ein Theorem Michel Foucaults. Dessen Grundgedanke ist, dass die Macht in einem bestimmten Stadium der abendländischen Geschichte begonnen hat, das Leben als solches, also die biologischen Eigenschaften und Funktionen in Besitz zu nehmen. Diesen Umbruch erfasst Foucault mit der Umkehr eines Paradigmas: „Ich glaube, daß eine der massivsten Transformationen des politischen Rechts im 19. Jahrhundert gerade darin bestand, dieses alte Recht der Souveränität – sterben zu machen oder leben zu lassen – durch ein anderes, neues Recht zwar nicht im strengen Sinne zu ersetzen, aber zu ergänzen, durch ein Recht, das ersteres nicht beseitigt, sondern in es eindringt, es durchdringt und verändert, und das ein Recht oder eher eine Macht ist, die genau die Umkehrung der ersteren ist: die Macht leben zu machen und sterben zu lassen.“[1]
Spricht man von einer Macht, der es darum geht, „Leben zu machen“, so liegt es nahe, an wissenschaftliche Unternehmungen und experimentelle Techniken zu denken, die Leben hervorbringen, oder zumindest: die menschliche Fähigkeit, Leben hervorzubringen, fördern und kontrollieren. Im Rahmen dieser Machtform scheint daher das Menschenexperiment zu seiner eigentlichsten Form zu gelangen, nämlich zur Frage der Möglichkeit der wissenschaftlich-technischen Kreation von Menschen nach vorgegebenen Zielvorstellungen.
[1] Michel Foucault: „Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus“, in: Sebastian Reinfeldt/ Richard Schwarz/ Michel Foucault (Hg.): Biomacht, Duisburg 1993, S. 27-50, hier S. 28.