Das tätige Auge des Denkens

Aspektwechsel bei Wittgenstein und Fleck

In: Werkstätten des Möglichen 1936. L. Fleck, E. Husserl., R. Musil, L. Wittgenstein, hrsg. von Birgit Griesecke, Würzburg 2008, S. 59-75.

Einleitung

Erkennen als Tätigkeit: Der Philosoph Ludwig Wittgenstein und der Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck haben in ähnlicher Abgrenzung und mit vergleichbaren Denkfiguren einen praxeologischen Ansatz der Erkenntnistheorie entwickelt.

In diesem Text zeige ich, dass die Auffassungen vom Sehen und Neu-Sehen, mit denen sich Fleck und Wittgenstein vom Wiener Kreis abgrenzen, tatsächlich eng verwandt sind. Ihre in vielerlei Hinsicht verschiedenen Perspektiven konvergieren darin, dass beide das Sehen (und Sehen steht hier – aus Gründen, auf die wir kommen werden – immer auch für das Erkennen im allgemeinen) auch als eine Tätigkeit betrachten und mit dieser Aufwertung der Praxis einen Begriff von Möglichkeit gewinnen, der sich von der Vorstellung des Logisch-Möglichen löst. Die Möglichkeiten des Anders-Sehens und Neu-Sehens erscheinen nun einerseits unberechenbarer, andererseits konkreter als dies zuvor denkbar war.

Graphiken aus Wittgensteins Manuskripten

Leseprobe

Worin unterscheidet sich Aspektsehen vom Sehen, wie wir es normalerweise auffassen? Was ist das besondere an der Wahrnehmung eines Aspekts?

Wenn wir gewöhnlich den Ausdruck ‚Sehen‘ verwenden, dann meinen wir damit keine Tätigkeit, sondern ein Zustand. Wenn ich sage: „Ich sehe eine Gabel“, dann gibt es da nichts zu tun, ich sehe sie einfach, solange ich die Augen auf sie richte und, kehre ich meinen Blick ab und lasse ihn herumwandern, so sehe ich sie wieder, sobald und solange sie in meinem Blickfeld ist.[1] Sehen ist in dieser Bedeutung des Wortes ein Zustand, der mit einem stabilen und leicht identifizierbaren Gegenstand verbunden ist.[2] Ein solcher Gegenstand und ein solches Sehen muss vorausgesetzt werden, wenn man das Beobachten etwa wie Carnap auffasst.

Was zeichnet nun demgegenüber das Aspektsehen aus? Der entscheidende Punkt ist, dass das Sehen des Aspekts mit einem Geschehen verbunden ist, in dem sich etwas ändert. Das Bemerken eines Aspekts verändert das Gesehene in einer Hinsicht zwar nicht, aber in anderer völlig.[3] Erkennt man in einem Gesicht eine vertraute Person, so verändert sich die gesamte Gestalt. Am deutlichsten wird die Wirkung des Aspektsehens in Vexierbildern, bei denen in einem Gewirr von Linien nach einiger Anstrengung eine Gestalt erkannt werden kann; und bei Kippbildern wie dem bekannten von der jungen und der alten Frau oder dem von Wittgenstein verwendeten Hasenentenkopf.[4]

Ich werde auf diese und andere Bilder zurückkommen. Doch zunächst möchte ich auf den entscheidenden Punkt hinweisen: In keinem von diesen Fällen ist das Sehen ein stabiler Zustand; es wird vielmehr etwas anders gesehen, etwas neu gesehen, eine Gestalt überhaupt erst gesehen. Wir haben es hier also mit transformierenden und produktiven Prozessen zu tun. Nun stellt sich aber die erkenntnistheoretische Frage, wie dieses effektive Moment zu begreifen ist. Wodurch wird die Wahrnehmung in einer solchen Weise verändert? Eine Änderung der ‚Realität‘ des Gegebenen  liegt der Aspektänderung nicht zugrunde, denn die Vorlage bleibt dieselbe.

Eine erste, naheliegende Antwort ist, dass hier zum Sehen ein Deuten hinzukommt. Die Vorlage wird nicht nur gesehen, sie wird zudem in der einen oder anderen Weise gedeutet. Und da das Deuten oder Interpretieren als Tätigkeit zu verstehen ist, wird begreiflich, wie sich das Gesehene verändern kann; es wird jetzt anders gedeutet oder anders interpretiert.[5]

Die erkenntnistheoretische Position, die das Sehen tatsächlich als Interpretation – durch welche Instanz auch immer – begreift, wird heute zumeist als Konstruktivismus bezeichnet: das Subjekt, der Geist, das Bewußtsein konstruiert sich das Bild nach eigener Vorgabe. Einem Realismus, dem Sehen als Zustand passiver Rezeption erscheint, steht also ein Konstruktivismus gegenüber, für den die Wahrnehmung aus einer Tätigkeit, und zwar einer Tätigkeit konstruierender, herstellender Art resultiert.

Wie steht Wittgenstein zu diesen erkenntnistheoretischen Positionen? Läßt er sich einer Seite zuschlagen?

Betrachten wir seine Untersuchungen zum Aspektsehen genauer, dann zeigt sich, dass sie sich dieser Dichotomie entziehen – und gerade das macht sie so interessant. Viele Interpreten haben Wittgenstein nämlich so verstanden, dass er die unauflösliche Verbundenheit von Sehen und Deuten, die Theoriegeladenheit der Wahrnehmung und die Wahrnehmungsabhängigkeit der Theorien stark machen möchte.[6] Wittgenstein geht aber darüber noch einen Schritt hinaus. Er zeigt, dass die Unterscheidung selbst nicht so eindeutig ist, dass es mehr Differenzen und mehr – wie er ja gegen Carnap einwandte – Sprachspiele gibt als wir annehmen. Er zeichnet ein ganzes Netz von Arten des Aspektsehens, die sich in unterschiedlichen Hinsichten voneinander unterscheiden.

Wie geht dieses Netz über eine einfache Polarität hinaus?

Als Gegenpol zu einer Auffassung des Sehens im Sinne einer passiven Rezeption lassen sich Fälle anführen, bei denen Sehen als Tätigkeit erscheint. „Ich kann, z.B. das Würfelschema so sehen, indem ich den Blick auf diese Kanten besonders richte. Wenn ich es tue, folgt das Umschlagen des Aspekts.“[7]  So stehen sich zwei Phänomene des Sehens gegenüber: eines, in dem es sich als passiver Zustand und eines, in dem es sich als aktive Deutung zeigt.

Nun ist der passive Zustand, mit dem sich ein Sehen vom Aspektsehen gerade unterscheiden soll, insofern nicht eindeutig, als der „passiven Kontemplation“ – wie Fleck das polemisch formulierte – sich ein Aspektwechsel durchaus ereignen kann. Ein Bild, ein Anblick kann ohne jede deutende Tätigkeit auf uns einwirken, plötzlich schlägt es um und erscheint anders oder neu, im Blätterwerk tritt ein Gesicht hervor; „Mein Gesichtseindruck hat sich geändert.“[8] Es bleibt also trotz Passivität nicht unbedingt bei einem stabilen Zustand; Aspektsehen kann auch den Charakter der Widerfahrnis haben.

Auf der anderen Seite unterliegt das Aspektsehen – wie Wittgenstein immer wieder hervorhebt – in gewisser Weise auch dem Willen. Im Unterschied zur Farbempfindung ist das Aspektsehen mit einer bestimmten Bemühung und Beschäftigung verbunden. Deshalb macht es „keinen Sinn, zu sagen ‚Sieh dies rot‘ wohl aber ‚Sieh dies als …‘.“[9] Allerdings ist wiederum nicht eindeutig, wie weit der Wille hier reicht. Denn das Sehen des Aspekts kann zwar beeinflußt werden, indem man jemanden auffordert: „‚Schau es jetzt so an. Trachte die Ähnlichkeit wieder zu sehen. Hör das Thema so, etc.“.[10] Aber solche Bemühungen bleiben sozusagen Hilfsmittel, die nicht letztlich gewährleisten können, dass der Aspekt wirklich gesehen wird. Trotz aller Hinweise und Anstrengungen kann jemand beispielsweise daran scheitern, eine Gestalt in einem Vexierbild zu erkennen. Das Aspektsehen ist also zwar mit vielfältigen Tätigkeiten verbunden – von Augenbewegungen bis zu Hinweisen auf vergleichbare Gegenstände – jedoch gibt es keine Tätigkeit, die auf einer Regel zur kontrollierten Herbeiführung des Aspekts beruhte.

Es ist also nicht nur der Begriff des passiven Zustand problematisch, sondern auch der der aktiven Deutung. Passivität heißt nicht, dass der Zustand des Sehens stabil bleibt,[11] und Aktivität nicht, dass ein Effekt kontrolliert herbeigeführt werden kann. Man kann also weder die Auffassung vertreten, dass das Sehen generell durch Einwirkung des Objekts zustande kommt,[12] noch, dass die Seherfahrung vom Subjekt hergestellt wird.

Es gibt eine Fülle interessanter philosophischer Probleme, die mit dem Phänomen des Aspektsehens verbunden sind. Sie drehen sich in erster Linie darum, dass wir beim Aspektsehen in eine gegebene Form etwas hineinsehen, was in einem bestimmten Sinn gar nicht da ist; dass sich im Aspektwechsel auf einer Ebene nichts ändert, auf einer anderen alles; sie betreffen die Frage nach dem Verhältnis des Wahrgenommenen zum Wahrnehmungsbild, das erinnert und auch gedanklich verändert werden kann; die Beziehung von der Veränderung des Gegenstandes, also z.B. der Akzentuierung bestimmter Linien in einer Gestalt, und der Emphase in der Aufmerksamkeit, somit also den gesamten Komplex der erkenntnistheoretischen Fragen, von Objektivität, Subjektivität, Inneres und Äußeres, Wissen und Welt.

Solche Fragen und Probleme bilden Hintergrund und Motiv von Wittgensteins aufwendigen Untersuchungen zum Aspektsehen. Es ist wichtig zu bemerken, dass es bei der Aspektwahrnehmung nicht nur um Sehen im engeren Sinn, sondern auch um Hören, Lesen, ja um ein Behandeln von etwas als etwas im allgemeinen geht – was das Thema des Aspekts mit einem weiteren philosophischen Feld verknüpft.

Die für unseren Zusammenhang interessanteste Frage, mit der ich auf Fleck zurückkomme, ist, wie sich das Anders-, das Neu-Sehen oder Behandeln von Aspekten zum Forschungsprozess verhält.

Fleck hatte ja betont, dass ein wissenschaftlicher Beobachter das in seinem Fach spezifische Sehen erst erlernen, bestimmte Praktiken eingeübt haben muß. Zugleich verliert er im Erwerb eines solchen disziplingebundenen Beobachtungs- und Denkstils die Fähigkeit, anders zu sehen. Die – wie Fleck sagt – „wahrhaft kindliche, ‚polyvalente‘ Fähigkeit, phantastische Gestalten zu sehen“[13], bleibt dabei auf der Strecke. Doch gerade diese Fähigkeit ist erforderlich, um neue Entdeckungen zu machen, Denkschranken und Paradigmen zu überwinden. Wie verhält sich also die notwendige Einübung des Sehens zur Fähigkeit, neu zu sehen?

Fleck spricht davon – und er nimmt hier wichtige Züge der Kuhn’schen Idee des Paradigmenwechsels vorweg –, dass in den schöpferischen Momenten eines Forschungsprozesses ein bislang feststehendes Bild in „Kleckse“ (Fleck 1983,80) zerfällt und aus anderen Bereichen, aus einem „Vorrat“ (68) vorhandener Gestalten neue Kombinationen gebildet werden. Aber warum sollte – wenn der Blick doch disziplinär wohl eingerichtet ist – ein Bild in Kleckse zerfallen und warum sollte eine Bereitschaft und Fähigkeit bestehen, andere Gestalten heranzuziehen, wenn – wie am Beispiel des Diphterieerregers zu erkennen war – mit dem Fortschritt der Forschungen in einem Gebiet die polyvalenten Gestalten immer weiter aus der Praxis verdrängt werden?

Ich möchte zu diesen diffizilen Fragen nur einen Punkt anführen, der das Verhältnis von Möglichkeiten und Praxis betrifft. Denn Fleck und der späte Wittgenstein haben eine so andersartige Vorstellung von Wissenschaft als beispielsweise Carnap oder der Wittgenstein des Tractatus, weil sie eine so andere Vorstellung vom Zusammenhang von Möglichkeit und Tätigkeit haben. Worin dieser Unterschied besteht, läßt sich wieder am besten in Wittgensteins Denkbewegung fassen.

In seinem Frühwerk hat Wittgenstein, wie später auch Carnap, die Auffassung vertreten, dass die empirische Wissenschaft philosophisch durch logische Analyse der Sprache abgestützt werden muss und kann. Der diesbezügliche Grundgedanke im Tractatus ist sehr einfach. Die Welt besteht aus einer Verbindung von Gegenständen zu Sachverhalten.[14] Nicht alle möglichen Verbindungen treten in Wirklichkeit auf, sind – wie Wittgenstein sich ja bekanntlich ausdrückt – der Fall.[15] Es ist möglich, dass ein roter Würfel auf einem bestimmten Tisch liegt, aber nur möglich – vielleicht liegt dort in Wirklichkeit ein blauer. Entscheidend für die logische Analyse ist nur, dass beides möglich ist. Denn im Unterschied zu Aussagen wie ‚ich sehe den Würfel dort zugleich als rot und blau‘ oder ‚der Würfel ist im Geiste des Tisches‘ kann man durch Nachsehen oder – im Fall wissenschaftlicher Gegenstände – durch empirische Untersuchungen und Experimente überprüfen, ob sich die Sache wirklich so verhält.

Möglich ist also alles, wovon sich sinnvoll sagen läßt, dass es sich so verhalten kann. Und wie es sich verhalten kann, ist – so Wittgenstein  imTractatus – durch die internen Eigenschaften des Gegenstandes vorgegeben.[16]

Deshalb kann man, wenn man diese internen Eigenschaften kennt, durch logische Analyse auch alle möglichen Sachverhalte voraussagen, in denen dieser Gegenstand auftreten kann.[17] Der empirischen Wissenschaft bliebe demnach nur die Aufgabe, die internen Eigenschaften aufzudecken und zu überprüfen, welche Möglichkeiten tatsächlich realisiert sind.[18]

 

Es ist evident, wie stark sich eine solche Vorstellung von dem unterscheidet, was Fleck aus der Praxis der Forschung kennt und berichtet. Aber es gibt auch eine entscheidende philosophische Frage, die sich hier stellt. In welchem Sinn kann man denn die Eigenschaften eines Gegenstandes kennen? Ich möchte die Problematik an einem Beispiel deutlich machen:

Angenommen wir geben einem Kind eine bestimmte Anzahl Lego-Steinen unterschiedlicher Größe, Form und Farbe. Es ließe sich hier im voraus sagen (bzw.: es wäre ein bloßes Problem der Datenverarbeitung), welche Gebilde das Kind wird bauen können – und wie diese aussehen: die Möglichkeiten der Kombination sind vorgegeben. Die Noppen lassen nur bestimmte Zusammenfügungen zu. So kann z.B. der eine Stein in einer bestimmten Anzahl von Möglichkeiten auf dem anderen sitzen, aber z.B. nicht schräg oder an der Seitenfläche befestigt.

Was ist nun aber, wenn das Kind die Lego-Bausteine gar nicht im Sinne des Erfinders benutzt? Wenn es beispielsweise, ohne auf die Noppen zu achten, die Steine mit großem Geschick zu fragilen Gebäuden aufschichtet, diese dann einstürzen lässt, auf die Muster achtet, in denen sie zum liegen kommen; oder die Steine durchbohrt und sie mit Stricknadeln zu Figuren wagemutiger Konstruktion verbindet? Was ist nun über den Raum der Möglichkeiten zu sagen? Sicherlich wird er – sozusagen – auf einer Seite durch die Bedingungen der Statik und Schwerkraft begrenzt; aber aus diesen Bedingungen allein entsteht nicht das neue Gebilde. Keine Analyse der Sprache, keine endliche Zahl von Sätzen kann voraussagen, was sich als möglich zeigen wird.

Im Tractatus hat Wittgenstein noch formuliert: „Auch wenn die Welt unendlich komplex ist, so daß jede Tatsache aus unendlich vielen Sachverhalten besteht und jeder Sachverhalt aus unendlich vielen Gegenständen zusammmengesetzt ist, auch dann müßte es Gegenstände und Sachverhalte geben.“[19] Die Unendlichkeit dieses Raums des Möglichen ist von der Unbeschränktheit des Praktisch-Möglichen, wie es soeben beispielhaft dargestellt wurde, aber offenbar grundverschieden. Denn in der Kombinatorik von unendlich vielen Gegenständen zu unendlich vielen Sachverhalten, deren Bestehen der Fall sein können, handelt es sich immer nur um eine Multipliktion von Bekanntem (auch wenn es unendlich viele Gegenstände gibt, ist – wie wir bereits gesehen haben – Gegenstand ja nur, was in seinen internen Eigenschaften vollständig beschreibbar ist). Der Begriff des Möglichen, der in der neuartigen Praxis zum Tragen kommt, bezeichnet dagegen ein ‚immer noch anders als bekannt war‘, ‚immer noch anders als denkbar erschienen war‘. Im ersten Fall wird davon ausgegangen, dass die Welt aus wohlbestimmten bzw. bestimmbaren Grundelementen aufgebaut ist (wieviele dies auch immer in Art und Exemplar sein mögen); im zweiten, dass es eben nicht feststeht, woraus ein komplexes Phänomen aufgebaut ist.

Wittgenstein hat in der Revision seiner Philosophie in den dreißiger Jahren immer wieder selbstkritisch festgestellt, dass seine Idee der Elementarsätze genauso falsch gewesen sei wie Carnaps Protokollsätze. Falsch daran sei die Vorstellung gewesen, dass sich komplexe Sätze logisch so analysieren lassen, dass am Ende einfache elementare Aussagen stehen, die voneinander unabhängig sind und auf die sich der gesamte Sprachgebrauch zurückführen läßt.[20] In Wirklichkeit hätten die logischen Positivisten die Elementarsätze nur an Hand weniger passender Beispiele eingeführt und sich nicht klar gemacht, wie wenig repräsentativ für den Sprachgebrauch im allgemeinen der Ausschnitt dieser Beispiele sei.

Als sich nun in den frühen dreißiger Jahren Wittgensteins Perspektive so wendet, dass Gebrauchsweisen, Verwendungszusammenhänge und Handlungsformen ins Zentrum rücken, wird immer deutlicher, wie vielfältig die Formen der Sprachverwendung sind. Wittgenstein entwickelt, vor allem im sogenannten Blauen Buch und Braunen Buch[21] immer weitere Sprachspielsituationen, deren Zahl weit über die Hundert geht. Mit jedem dieser Beispiele wird deutlicher, dass die Regeln, denen das Handeln jeweils gehorcht, nicht auf eine einheitliche Logik zurückzuführen sind. Jedes Sprachspiel lässt sich stets so variieren, dass andere Unterscheidungen wichtig werden.

Während in der Tractatus-Welt der Raum des Möglichen homogen und universal ist, ist in einer Sprachspiel-Welt etwas dann möglich, wenn es aus den Bedingungen des Sprachspiels als möglich erscheint. Und da in Sprachspielen gehandelt wird, sowohl mit Worten als auch in sprachfreien Tätigkeiten, können Möglichkeiten sinnvoll erscheinen, die zuvor undenkbar gewesen wären. Das entscheidende ist also nicht, dass mit der Wende zur Praxis der logische Raum in Sprachspiele sozusagen parzelliert wird, sondern dass sich im Handeln in konkreten Bedingungen veränderte Situationen und neue Handlungsweisen ergeben.

Was das heißt, wird am deutlichsten, wenn wir uns eine prominente Passage aus den Philosophischen Untersuchungen ansehen:

„Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für alle mal Gegebenes, sondern neue Typen der Sprache, neue Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und werden vergessen. (Ein ungefähres Bild davon können uns die Wandlungen der Mathematik geben.)

    Das Wort ‚Sprachspiel‘ soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.

Führe Dir die Mannigfaltigkeit der Sprachspiele an diesen Beispielen und andern vor Augen:

    Befehlen, und nach Befehlen handeln –

    Beschreiben eines Gegenstands nach dem Ansehen, oder nach Messungen –

    Herstellen eines Gegenstands nach einer Beschreibung (Zeichnung) –

    Berichten eines Hergangs –

    Über den Hergang Vermutungen anstellen –

    Eine Hypothese aufstellen und prüfen –

    Darstellung der Ergebnisse eines Experiments durch Tabellen und Diagramme –

    Eine Geschichte erfinden; und lesen –

    Theater spielen –

    Reigen singen –

    Rätsel raten –

    Einen Witz machen; erzählen –

    Ein angewandtes Rechnungsexempel lösen –

    Aus einer Sprache in die andere übersetzen –

    Bitten, Danken, Fluchen, Grüßen, Beten.

    — Es ist interessant die Mannigfaltigkeit der Werkzeuge der Sprache und ihrer Verwendungsweisen — die Mannigfaltigkeit der Wort- und Satzarten — mit dem zu vergleichen, was Logiker über den Bau der Sprache gesagt haben. (Und auch der Verfasser der Logisch-philosophischen Abhandlung.)“[22]

Diese Bemerkung, in der eine neue Sicht auf Sprache gefordert und exemplifiziert wird, dokumentiert einen Wechsel der Perspektive in Wittgensteins Denken, der selbst als Wechsel des Aspekts beschrieben werden kann. Die Wende steht im Zusammenhang mit einem anderen programmatischen Abschnitt aus Wittgensteins Philosophischen Untersuchungen, in dem er die Frage stellt: „Was ist das Ziel der Philosophie? – Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen.“[23] Verfolgen wir dieses Bild in Wittgensteins Nachlass zurück, so entdecken wir es bereits Mitte der dreißiger Jahre im Zusammenhang von Überlegungen zu einem Geduldsspiel, bei dem es darum geht, Plättchen verschiedener Form zu bestimmten neuen Gestalten zusammenzufügen. Dort heißt es:

„Kann man nicht sagen: die Figur, die [Dir| uns] die Lösung zeigt, beseitigt eine Blindheit; oder auch, sie ändert Deine Geometrie? Sie zeigt Dir gleichsam eine neue Dimension des Raumes. (Wie wenn man einer Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zeigte.) (…) Die neue Lage ist wie aus dem Nichts entstanden. Dort, wo früher nichts war, dort ist jetzt auf einmal etwas. In wiefern hat Dich denn die Lösung davon überzeugt, daß man das und das kann? — Du konntest es ja früher nicht — und jetzt kannst Du es etwa. — Du hast mir einen Weg gezeigt, den ich bisher nicht gesehen hatte.“[24]

Und ein solches Problem, bei dem gleichsam eine Dimension fehlt, ist nun das Aspektsehen. Denn der Begriff des Sehens, als Bezeichnung für einen Zustand, lässt für das Deuten, das eine Tätigkeit, eine Technik ist, scheinbar keinen Raum. „Wie ist es aber möglich“, fragt Wittgenstein, „daß man ein Ding einer Deutung gemäß sieht? Die Frage stellt es als ein seltsames Faktum dar; als wäre hier etwas in eine Form hineingezwängt worden, was eigentlich nicht hineinpaßt. Aber es ist hier kein Drücken und Zwängen geschehen.“ Und er ergänzt: „Wenn es scheint, es wäre für so eine Form zwischen anderen Formen kein Platz, so mußt du sie in einer anderen Dimension aufsuchen. Wenn hier kein Platz ist, so ist er eben in einer anderen Dimension.“[25] Im Aspektsehen haben wir also einen Fall, bei dem wir scheinbar widersprüchliche Aussagen zugleich treffen. Was die Logik verbietet, läßt sich am Phänomen nicht von der Hand weisen. Die Praxis geht über die Logik hinaus.

Wittgensteins Spätphilosophie kann insgesamt als der Versuch angesehen werden, gegen alle Arten von Reduktionismus die Mannigfaltigkeit der Praktiken zu verteidigen. Der entscheidende Gedanke dazu, den Wittgenstein wieder und wieder betont, ist die an sich selbst und alle Philosophierenden gerichtete Aufforderung zu beachten, wie Wörter, Zeichen, Bilder tatsächlich gebraucht werden, in welchen Verwendungszusammenhängen sie Sinn machen und mit welchen Tätigkeiten sie verbunden sind. Das Absehen von der Praxis stellt selbst schon eine theoretische Verkürzung dar, die das Denken in leerlaufende Abstraktionen führt.

In welchem Sinne das zu verstehen ist, das zeigt sich in einem Abschnitt des Tractatus, wo Wittgensteins Überlegungen selbst noch wie die Fliege im Glas gefangen sind – und zwar gerade, weil das theoretische Moment der Praxis noch nicht gewonnen, weil die Betrachtung, wie Wittgenstein in den Philosophischen Untersuchungen sagen wird, noch nicht „um unser eigentliches Bedürfnis als Angelpunkt gedreht wurde.“[26]

„Das Kantsche Problem von der rechten und linken Hand, die man nicht zur Deckung bringen kann, besteht schon in der Ebene, ja im eindimensionalen Raum, wo die beiden kongruenten Figuren a und b auch nicht zur Deckung gebracht werden können, ohne aus diesem Raum

—o–––––––x — x–––––––o —-

a                      b

herausbewegt zu werden. Rechte und linke Hand sind tatsächlich vollkommen kongruent. Und daß man sie nicht zur Deckung bringen kann, hat damit nichts zu tun. Den rechten Handschuh könnte man an die linke Hand ziehen, wenn man ihn im vierdimensionalen Raum umdrehen könnte.“[27]

In jeder Dimension gibt es Unvereinbarkeiten, Widersprüche. Die kongruenten Linien können erst zur Deckung gebracht werden, wenn eine der beiden in der zweidimensionalen Fläche um 180 Grad gedreht wird. Zwei Flächen – wie ja auch die rechte und die linke Hand, betrachtet als Flächen– lassen sich im dreidimensionalen Raum aufeinander legen; für die dreidimensionalen Körper bedarf es jedoch einer vierten Dimension; Wittgenstein schreibt: man könnte den rechten Handschuh an die linke Hand ziehen, wenn man ihn im vierdimensionalen Raum umdrehen könnte.

Doch dieses theoretische Problem erhält eine überraschende Wendung, wenn man es als eine Frage der Praxis betrachtet. Denn tatsächlich kannman den rechten Handschuh an die linke Hand ziehen. Es genügt, ihn im Abstreifen umzustülpen, um das genau spiegelverkehrte Gebilde zu erhalten. Der rechte Handschuh passt an die linke Hand, wenn man ihn – wie man ja auch sagt – auf links dreht.

Was heißt das für Wittgensteins Problemstellung? Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass im Umstülpen des Handschuhs tatsächlich ein kongruenter dreidimensionaler Körper in spiegelverkehrter Ausrichtung entsteht. Theoretisch wäre für eine solche Spiegelung eine vierte Raumdimension erforderlich. Die Unmöglichkeit, sich eine vierte Raumdimension anschaulich vorzustellen, versetzt die mathematisch-theoretische Lösung in den Irrealis. In einer pragmatischen Perspektive ließe sich die erforderliche Dimension nun als die Dimension der Zeit deuten, in der Handlung vollzogen werden und Ereignisse geschehen können.

Nun wäre es aber ein Mißverständnis anzunehmen, dass Wittgensteins spätere Überlegungen zur Frage der Dimensionen, in denen ein Vorgang möglich wird, auf eine Bestimmung dieser Dimensionen, etwa als räumliche und zeitliche abziele. Wittgenstein geht es keineswegs darum, den Raum des Möglichen zu ontologisieren und als raum-zeitliches Koordinatensystem auszudeuten. Vielmehr will er gerade zeigen, dass das Mögliche überhaupt nicht – wie noch im Tractatus postuliert – durch eine Formvorgabe determiniert ist; der Raum der Möglichkeiten ist nicht vorbestimmt durch die logische oder ontologische Form, vielmehr erweist sich, was möglich ist, allererst, und zwar in der Praxis: Zur Illustration, worin die von ihm geforderte „andere Dimension“ besteht, verweist Wittgenstein auf die imaginären Zahlen, für die ebenfalls „auf der reellen Zahlenlinie“ kein Platz sei, und er erklärt: „das heißt doch: die Anwendung des imaginären Zahlbegriffs ist unähnlicher der des reellen, als der Anblick der Rechnungen es offenbart. Man muß zur Anwendung hinuntersteigen, dann findet jener Begriff einen sozusagen ungeahntverschiedenen Platz.“[28]

Hier sind die entscheidenden Elemente noch einmal sehr konzentriert zum Ausdruck gebracht: In der Anwendung zeigt sich ein Mögliches, das in einem anderen Sinne möglich ist als eine bloße Neukombination von Bekanntem; die Verschiedenheit ist anders als bisher vorauszusehen war, sie ist „ungeahnt“ – deshalb die Rede von einer anderen Dimension.

Zu zeigen, dass das Sehen im Aspektsehen – im Neusehen, im Erkennen – eine komplexere Angelegenheit ist, als die einfache Dichotomie von Zustand und Tätigkeit es suggeriert, war eines der entscheidenden Ergebnisse von Wittgensteins Studien zum Aspektsehen. Es erwies sich, dass die Achse von Aktivität und Passivität im Betrachten nicht mit der Achse von Sehen als Ereignis und Sehen als Zustand übereinstimmt, dass sie vielmehr quer dazu steht: wir können passiv eine Gabel sehen oder aktiv eine Pappschachtel als Haus; trotz Aktivität kann das Sehen aber ein Zustand bleiben, wenn es uns etwa nicht gelingt, die andere Gestalt in einem Kippbild zu sehen und trotz Passivität kann sich ein Aspektwechsel ereignen, wenn uns etwa plötzlich im Gewirr der Zweige ein Gesicht erscheint. Als „tätiges, lebendiges Beziehungeingehen“ – wie Fleck dies ausgedrückt hat[29] – ist Sehen eben viel mehr als kausale Affektion oder willkürliche Konstruktion; es ist ein Komplex von Praktiken, der so kompliziert ist, wie unser Umgehen mit den Gegenständen der Welt tatsächlich ist.

Die Unhintergehbarkeit der Praxis ist das Motiv, das Wittgenstein und Fleck gemeinsam haben. Sehen, Wahrnehmen, Erkennen sind für sie unauflöslich in Praktiken eingebunden, die für beide soziale konstituiert und geprägt sind. Zugleich kommen in ihren verschiedenen Perspektiven aber auch unterschiedliche Aspekte der Thematik zum Vorschein. So rückt Fleck neben der Rolle des Denkkollektivs auch die irreduzible Stofflichkeit des Materials ins Zentrum seiner Darstellung, eine Materialität, die sich z.B. darin zeigt, dass im Präparat immer auch andere Qualitäten und Merkmale zu entdecken sind oder – um noch einmal auf das Beispiel des Handschuhs zu kommen – darin, dass sich ein eiserner Handschuh gar nicht, ein lederner schwer und nur ein schmiegsamer Stoff sich leicht umwenden lässt. Wittgenstein dagegen widmet sich in erster Linie den unausschöpflichen Möglichkeiten der Handlungsweisen, arbeitet daran, deutlich zu machen, wie differenziert und immer wieder verschieden diese sein können. „… diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes …“ Mit dem Handschuh etwas tun zu können, ist die Voraussetzung dafür, mit ihm etwas

[1] Vgl. Wittgenstein (Anm. 1), S. 521.

[2] Wittgenstein (Anm. 7), Band 1, Nr.1.

[3] Wittgenstein drückt dies an verschiedenen Stellen aus: „Ich beschreibe die Änderung wie eine Wahrnehmung, ganz, als hätte sich der Gegenstand vor meinen Augen geändert. […] Der Ausdruck des Aspektwechsels ist der Ausdruck einer neuen Wahrnehmung, zugleich mit dem Ausdruck der unveränderten Wahrnehmung.“ Wittgenstein (Anm. 1), S. 522f.; „Das Unbegreifliche ist ja doch, daß sich nichts geändert hat, und sich doch Alles geändert hat.“ Wittgenstein (Anm. 7), Band 2, Nr. 474.

[4] Wittgenstein (Anm. 1), S. 519-523.

[5] Wittgenstein (Anm. 1), S. 518f.; Wittgenstein (Anm. 7), Band 1, Nr. 1.

[6] Vgl. etwa: Hans-Johann Glock: „Aspektwahrnehmung“, in: Ders.: Wittgenstein-Lexikon, Darmstadt 2000, S. 42-47.

[7] Ludwig Wittgenstein: Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie, in: Ders. (Anm. 7), Nr. 451; vgl. Nr. 555f.

[8] Wittgenstein (Anm. 1), S. 523; vgl. Wittgenstein (Anm. 27), Nr. 612.

[9] Wittgenstein (Anm. 7), Bd. 1, Nr. 899; vgl. auch Nr. 971.

[10] Wittgenstein (Anm. 27), Nr. 451.

[11] „Denk nun ja nicht, du wüßtest im vorhinein, was ‚Zustand des Sehens‘ in diesem Fall bedeutet! Laß dich die Bedeutung durch den Gebrauch LEHREN.“ Wittgenstein (Anm. 7), Bd. 1, Nr. 1013. Vom Aspektsehen her wird daher der Begriff des Sehens überhaupt problematisch: „Aber es ist doch auch die visuelle Wahrnehmung vom Willen abhängig! Schau ich genauer hin, sehe ich etwas anderes, und ich kann den anderen Gesichtseindruck nach Willkür hervorrufen.“ Wittgenstein (Anm. 27), Nr. 453.

[12] Wittgenstein (Anm. 7), Bd. 1, Nr. 1075.

[13] Fleck (Anm. 5), S. 64.

[14] Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus, Werkausgabe Bd.1, Frankfurt/M. 1993 (1921), Nr. 2.01; 2.011.

[15] Wittgenstein (Anm. 34), Nr. 2.011; 2.012.

[16] Wittgenstein (Anm. 34), Nr. 2.012; 2.0121-2.0124.

[17] Wittgenstein (Anm. 34), Nr. 2.0123.

[18] Wittgenstein (Anm. 34), Nr.  4.021-4.023.

[19] Wittgenstein (Anm. 34), Nr.  4.2211.

[20] Wittgenstein (Anm. 6).

[21] Ludwig Wittgenstein: Das Blaue Buch. Eine Philosophische Betrachtung (Das Braune Buch), Werkausgabe Bd.5, Frankfurt/M. 1984.

[22] Wittgenstein (Anm. 1) aus § 23.

[23] Wittgenstein (Anm. 1) § 309.

[24] Ludwig Wittgenstein: Manuscript Nr. 117. In: Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition. Oxford University Press, The Wittgenstein Trustees, The University of Bergen 2000, S. 62.

[25] Wittgenstein (Anm. 1) S. 530f.

[26] Der Kontext dieser Bemerkung behandelt den Übergang vom formal-logischen zu einem praxeologischen Ausgangspunkt: „Wir erkennen, daß, was wir ‚Satz‘, ‚Sprache‘, nennen, nicht die formelle Einheit ist, die ich mir vorstellte, sondern die Familie mehr oder weniger miteinander Gebilde. – Was wird nun aus der Logik? […] Das Vorurteil der Kristallreinheit kann nur so beseitigt werden, daß wir unsere ganze Betrachtung drehen. (Man könnte sagen: Die Betrachtung muß gedreht werden, aber um unser eigentliches Bedürfnis als Ausgangspunkt.“ Wittgenstein (Anm. 1), aus § 108.

[27] Wittgenstein (Anm. 34), Nr. 6.36111.

[28] Wittgenstein (Anm. 1) S. 531. (Herv. im Orig.)

[29] Vgl. Fleck (Anm. 17)

Zitate

„Man kann eine Veränderung eines Gesichts merken und mit den Worten beschreiben, das Gesicht habe einen härteren Ausdruck angenommen, — und doch nicht imstande sein, die Änderung mit räumlichen Begriffen zu beschreiben. Dies ist ungeheuer wichtig. — Vielleicht sagt nun jemand: wer das tut, beschreibe eben nicht die Veränderung des Gesichts, sondern nur der Wirkung auf ihn selbst; aber warum sollte dann eine Beschreibung durch Form- und Farbbegriffe nicht auch dies sein? Man kann auch sagen ”Er machte dieses Gesicht”, oder ”Sein Gesicht veränderte sich so”, indem man’s nachmacht, — und ist wieder nicht imstande, die Veränderung anders zu beschreiben. ((Es gibt eben viel mehr Sprachspiele, als Carnap und andere sich träumen lassen.))“

(Wittgenstein BPP,I,919-920;WN229,p.406)

„Zwei Verwendungen des Wortes ’sehen’. Die eine: ’Was siehst du dort?’ – ’Ich sehe dies’ (es folgt eine Beschreibung, eine Zeichnung, eine Kopie). Die andere: ’Ich sehe eine Ähnlichkeit in diesen beiden Gesichtern’ – der, dem ich dies mitteile, mag die Gesichter so deutlich sehen wie ich selbst.

Die Wichtigkeit: Der kategorische Unterschied der beiden ’Objekte’ des Sehens.“

„Der Eine könnte die beiden Gesichter genau abzeichnen; der Andere in dieser Zeichnung die Ähnlichkeit bemerken, die der erste nicht sah.“

(Wittgenstein PU II, S. 518)

„Denn Erkennen ist weder passive Kontemplation noch Erwerb einzig möglicher Einsicht im fertig Gegebenen. Es ist ein tätiges, lebendiges Beziehungseingehen, ein Umformen und Umgeformtwerden, kurz: ein Schaffen. Weder dem ’Subjekt’ noch dem ’Objekt’ kommt selbständige Realität zu“.[1]

[1] Ludwik Fleck: Zur Krise der ’Wirklichkeit’ (1929), S. 48.