Henkel, Krüge und das Leiden der Technikphilosophie an den Dingen

Journal Phänomenologie, 16, 2001, S. 19-26.

Einleitung

In der Technikphilosophie scheint das Ding dem Denken noch einmal zu entwischen. Was nicht weiter erstaunen wird, schließlich ist das materielle Korrelat der Erkenntnis seit Kant, linguistic turn und radikalem Konstruktivismus hinter Kategorien, Begriffen und Interpretationen ausreichend verborgen, um stets unerreichbar zu bleiben. Erstaunen muss vielmehr, dass die junge Disziplin der Technikphilosophie das Rad hier noch einmal zu erfinden scheint, noch einmal fordert, was unter Schmerzen, aber letztlich glücklich verabschiedet war: eine philosophische Untersuchung von Dingen, von materiellen Strukturen und ihren Verhältnissen zueinander. Man beklagt: „the things themselves enter into the analysis in a very limited way“; und: „Things (technological artifacts) are reduced to the conditions of their possibilities“; man fordert: „a rich enough basis for grasping technology’s robust impact on our experience“; und konstatiert: „Technische Artefakte sind nicht beliebig interpretierbar, sie sind keinesfalls nur Zeichen, sondern haben materiell-funktionalen Charakter, der seine Anpassung abfordert.“

Wie kam es zu dieser Wendung zum Material? 

„Man hat das Werkzeug schlechthin als Verlängerung der Hand oder der menschlichen Organe überhaupt charakterisiert. In der Tat: wie für die Seele die Hand ein Werkzeug ist, so ist ihr auch das Werkzeug eine Hand. Daß aber der Werkzeugcharakter Seele und Hand auseinanderschiebt, verhindert nicht die innige Einheit, mit der der Lebensprozeß sie durchströmt; daß sie auseinander und ineinander sind, das eben macht das unzerlegbare Geheimnis des Lebens aus. (…) Die flache Schale ist nichts als die Verlängerung oder Steigerung der schöpfenden, tragenden Hand. Indem sie aber nun nicht einfach in die Hand genommen, sondern am Henkel gefasst wird, entsteht eine vermittelnde Brücke, eine schmiegsame Verbindung zu ihr, die wie mit anschaulicher Kontinuität den seelischen Impuls in sie, in die Handhabung mit ihr überleitet und sie nun, in der Rückströmung dieser Kraft wieder in den Lebensumfang der Seele einbezieht.“

Simmel: Der Henkel (1905)

Leseprobe

Philosophie und Soziologie stellten bis Ende des zwanzigsten Jahrhunderts die Frage nach der Technik in erster Linie im Zusammenhang mit dem Problem zivilisatorischer Entwicklung. Technik wurde im weiten Rahmen der Kontexte Ökonomie und Gesellschaft betrachtet und gab eines der Felder ab, in dem der Streit zwischen Aufklärung und Kulturkritik ausgetragen wurde. In den meisten der prominenten Werke zur Technik ist daher der Gegenstand in allgemeiner Weise vorausgesetzt, Analysen und Beschreibungen konkreter Technologien finden sich kaum. Carl Mitcham fasst in seinem viel beachteten Kompendium zur Technikphilosophie in Bezug auf Jacques Ellul, Günther Anders, Lewis Mumford, Marshall McLuhan, Jean Baudrillard und Richard Weaver zusammen: „In none of the cases listed, however, do the authors provide extended and detailed analysis of the inner structures of artifacts and how such structures give artifacts inherent tendencies toward specific kinds of human engagement and use. Their focus remains largely at the macro and … symbolic level, stressing external relations.“ 

Seitdem die Auseinandersetzungen um die Versprechungen und Gefahren der technischen Zivilisation ihren Schwung verloren haben und die technischen Entwicklungen sich vielfältiger und widersprüchlicher zeigen als zunächst angenommen, wächst nun das Interesse daran, zunächst einmal das Feld zu sichten, Beschreibungen anzustellen: „We believe that philosophy of technology becomes a distinct field of applied philosophy first in its articulation of philosophical descripions of technology itself; this amounts to saying that the field should be built from the bottom up, not suspended from higher level (…) social normative judgements.“

Doch vielleicht führt der Mangel einer deskriptiven Basis der Technikphilosophie nicht nur auf einen Effekt der kontingenten Geschichte der Disziplin, nicht nur auf eine spezifische Schwierigkeit des Gegenstandes, sondern auf eine allgemeinere Problematik, auf das Beschreiben selbst. Vielleicht führt die Idee, eine – wie die soeben zitierten Autoren fordern – philosophisch relevante Beschreibung von Technologien zu geben, in philosophische Komplikationen, die genauso viel über Technik lehren wie über die Tätigkeiten, die wir Beschreiben nennen. 

Werfen wir einen Blick auf einige Stationen des Versuchs, sich schreibend den Dingen zu nähern. Georg Simmel ist sicherlich einer derjenigen, die zuerst gegen die akademische Philosophie, gegen Neukantianismus und Kategoriensysteme alltägliche Dinge zu würdigen Gegenständen philosophischer und soziologischer Untersuchung erhebt. Simmel wendet sich in einer kurzen Abhandlung von 1905 einer Gerätschaft zu, die an der Grenze zwischen Kunstwerk und Werkzeug steht, der Vase, genauer: dem Henkel. Er beschreibt einige Typen von Vasen aus unterschiedlichen Kulturen in Hinblick auf die Frage, wie „die Gestalt des Henkels die beiden Welten in sich zur Harmonie bringt“, wie sie „Kunstform“ und „praktische Funktion“ vereint. 

Wie beschreibt er die Gegenstände, die solchen Ansprüchen genügen sollen? Zunächst unterscheidet er verschiedene Weisen, in denen das Verhältnis von Henkel und Gefäß gestaltet sein kann. Neben äußerlich angefügten und aus einer Vollform herausgeschnittenen Henkeln gibt es solche, die „aus dem Vasenkörper … herausgetrieben“ scheinen, von denen er wiederum einen Untertyp hervorhebt: „Manchmal werden flache Schalen so gebildet, dass sie mit ihrem Henkel wirken wie ein Blatt mit seinem Stil; sehr schöne dieser Art sind aus der alten mittelamerikanischen Kultur erhalten. Die Einheit des organischen Wachstums verbindet hier fühlbar die beiden Teile.“

Die Beschreibung in dieser Passage ist ganz allgemeiner ästhetischer Natur, der morphologische Vergleich bezieht sich auf Formverhältnisse, die Gegenstände verschiedener Art aufweisen könnten. Die bestimmte Art der Herstellung – das Herausgetriebensein – und der – zumindest potentiellen – Verwendung als Haushaltsgerät, spielen hier keine Rolle. Dort, wo die Beschreibung ansetzt, nämlich am Artefakt als Objekt der Betrachtung, zeigt sie sich unproblematisch. Form- und Farbgebung, Eigenschaften des Materials und der Proportion könnten weiter ausführend geschildert werden, ohne dass die Möglichkeiten der Beschreibung an eine Grenze gelangten. Jedoch ist damit das Artefakt lediglich als Gegenstand musealer Kontemplation, gerade nicht in seinem Gebrauch, nicht als Gerät begriffen. Doch darum geht es Simmel auch. Er fährt im Anschluss an obige Beschreibung fort: „Man hat das Werkzeug schlechthin als Verlängerung der Hand oder der menschlichen Organe überhaupt charakterisiert. In der Tat: wie für die Seele die Hand ein Werkzeug ist, so ist ihr auch das Werkzeug eine Hand. Daß aber der Werkzeugcharakter Seele und Hand auseinanderschiebt, verhindert nicht die innige Einheit, mit der der Lebensprozeß sie durchströmt; daß sie auseinander und ineinander sind, das eben macht das unzerlegbare Geheimnis des Lebens aus. (…) Die flache Schale ist nichts als die Verlängerung oder Steigerung der schöpfenden, tragenden Hand. Indem sie aber nun nicht einfach in die Hand genommen, sondern am Henkel gefasst wird, entsteht eine vermittelnde Brücke, eine schmiegsame Verbindung zu ihr, die wie mit anschaulicher Kontinuität den seelischen Impuls in sie, in die Handhabung mit ihr überleitet und sie nun, in der Rückströmung dieser Kraft wieder in den Lebensumfang der Seele einbezieht.“

Was Simmel hier in der Sprache der Lebensphilosophie zum Ausdruck bringt, ist keine ästhetische Beschreibung eines statischen Objekts mehr, sondern sind Momente der Interaktion, Erfahrungen, die sich erst im Umgang einstellen. Die „schmiegsame Verbindung“ zwischen Hand, Henkel und Gefäß erschließt sich nur, wenn das Gerät in die Hand genommen, erwogen, erprobt wird. Gleichwohl bleibt auch diese Schilderung zwischen ästhetischer Vergleichung („wie mit anschaulicher Kontinuität“) und Explikation eines klassischen, aber fragwürdigen technikphilosophischen Theorems, dem der Organprojektion, stehen. Dass das Werkzeug leibhaft, als Fortsetzung organischer Potentiale erfahren werden kann, ist ein klärungsbedürftiges Phänomen, was erhellt, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass es zum Charakter instrumentaler Erfahrung ebenso gehört, dass das Werkzeug der „Strömung des übergreifenden, einheitlichen Lebens“ entgegenstehen kann. Simmels Beschreibung, zuvor ganz äußerlich betrachtend, verliert sich hier in einer Verschmelzungsmetaphorik, in der das Gerät im Lebensprozeß aufgelöst, zum gegenstandslosen Organ einer stets zu sich zurückströmenden Intentionalität wird. Ging zunächst in der objektivistisch-distanzierenden Betrachtungsweise das Technisch-Pragmatische des Artefakts verloren, so schwindet nun in subjektivistischer Empfindungsbeschreibung die Gegenständlichkeit des Dinges. Das technische Artefakt als eigenständiges Wesen im Gebrauch erscheint weder in der einen noch in der anderen Darstellung.

Adorno, der Simmels Aufsatz als Kontrastfolie benutzt, um eine thematisch verwandte Abhandlung von Ernst Bloch zu charakterisieren, kritisiert mit scharfen Worten  die Verfehlung des Phänomens, die seiner Darstellung unterläuft: „Erstaunliche Ansätze eines Programms neuer Sachlichkeit, welche die Arbeit dort enthält, wo sie die sogenannte ästhetische Wirkung durch mangelnde Zweckmäßigkeit beeinträchtigt sieht, werden dadurch entwertet. Die Fehlleistungen entspringen darin, dass das Bedürfnis philosophischer Entäußerung, des Verschwindens im Objekt, sich verzerrt zur prompten Fähigkeit und Bereitschaft, über alles und jedes zu philosophieren. Das dürftige Skelett invarianter Grundbegriffe wie Form und Leben und die Blindheit für das am Phänomen, was Philosophie erst einzuholen hätte, entsprechen sich dabei.“

Sache und Phänomen gerecht zu werden, verlangt nach Adorno eine andere Art der Auseinandersetzung, eine andere Form der Darstellung. Blochs Tempo, seine „atemlos(e)“ Bewegung „zwischen den Extremen schildernder Beschreibung eines Kruges, eines Besonderen, und der abenteuerlichen Spekulation“ leiste dies weit eher: „Philosophisch notiert es eine veränderte Stellung zum Objekt. Nicht länger kann es ruhig und gelassen betrachtet werden.“  

Wie aber bringt Bloch seinen Gegenstand zur Darstellung? Inwieweit gelingt ihm eine angemessene Beschreibung?

Zunächst einmal gibt er eine Schilderung von Tonkrügen, die sich nicht grundsätzlich von der Simmels unterscheidet. Form und Material, Art der Verzierung und Herkunft werden in einer betrachtenden Weise ausgebreitet, die lediglich durch ihren persönlicheren, weniger akademischen Ton auffällt. Sodann tritt die Beschreibung sozusagen einen Schritt näher, sucht Einblick: „Es ist schwer zu ergründen, wie es im dunklen, weiträumigen Bauch dieser Krüge aussieht. Das möchte man hier wohl gerne inne haben. Die dauernde, neugierige Kinderfrage geht wieder auf.“ Doch ganz zu erfassen ist das Gefäß so nicht, die Weise, in der es in seinem Innern fasst, entzieht sich. „Aber nur noch der Geruch vermag einen feinen Duft von längst vergessenen Getränken mehr zu erraten als zu empfinden.“ Die Annäherung an das Ding lässt sich nicht unmittelbar bewerkstelligen. Ein Weiteres ist erforderlich – Dauer: „Und dennoch, wer den alten Krug lange genug ansieht, trägt seine Farbe mit sich herum.“ 

Im Unterschied zu Simmels Gerät, das ganz in der subjektiven Intentionalität aufging, wirkt hier das Ding in diese hinein, es wird zu einer Art Akteur. Wodurch vermag es das? Bloch zeichnet den Krug vor anderen Dingen aus: „Ich werde nicht von mit jeder Pfütze grau und nicht von jeder Schiene um die Ecke gebogen. Wohl aber kann ich krugmäßig geformt werden, sehe mir als einem Braunen, nordisch Amphorahaften entgegen …“ Was dem Krug Wirkmacht gibt, rührt daher, dass er „liebevoll und notwendig gemacht wurde“, dass er „gewachsen“ ist: „hier hat das Volk daran gearbeitet, seine Lust und tiefere Behaglichkeit in einem Trinkkrug auszuprägen, sich auf dieses Haus- und Schenkengerät aufzutragen.“ Die Lebenserfahrung, die sich in der Gestaltung des Gegenstandes ausdrückt, hat das Potential, den Betrachter zu verwandeln und „dieses nicht nur nachahmend oder einfach einfühlend, sondern so, dass ich darum als mein Teil reicher, gegenwärtiger werde, weiter zu mir erzogen an diesem mir teilhaftigen Gebilde.“

So eröffnet sich bei Bloch eine andere Dimension von Artefakten, ihre Wirksamkeit in der Erfahrung; eine Dimension, die der eingangs zitierten Forderung nach einer Darstellung von „technology’s robust impact on our experience“ durchaus entspricht. Jedoch, wie wird diese Erfahrung bei Bloch beschrieben? 

In erster Linie sind es symbolische Konnotationen der Gestaltung, die sich mitteilen und einprägen. Der Umgang mit dem Gefäß bleibt betrachtend, sich kindlich herantastend, gedankenreich, aber praktisch ungebildet. Weniger noch als bei Simmel wird hier das Gerät in seiner Verwendung, in seinen handhabbaren Eigenschaften zum Gegenstand. Eine Analyse innerer Strukturen und ihrer Auswirkungen auf den Gebrauch sucht man vergeblich. Blochs Krug ist überhaupt kein Gebrauchsgegenstand, sondern ein symbolischer, zwar durchaus eigentümlicher, aber letztlich bloß auf das Subjekt bezogenen Spiegel der Selbstbegegnung, der erlaubt, „in einen langen sonnenbeschienenen Gang mit einer Tür am Ende hineinzusehen, wie bei einem Kunstwerk.“

Noch einmal wird der Krug zum Gegenstand einer Abhandlung, in der es um das Denken des Dinges geht. Heidegger fragt in einem seiner Aufsätze aus den 50er Jahren danach, was das Ding zu einem Ding macht und konstatiert in Bezug auf die scheinbare Auflösung aller Distanzen durch die modernen Technologien: „Der Mensch hat bisher das Ding als Ding so wenig gedacht wie die Nähe.“ Der Krug dient ihm als Beispiel, an dem er sowohl den besonderen Charakter der Wesenheiten, die wir Dinge nennen, als auch ihren Bezug auf das Problem der Auflösung von Entfernungen zu erkunden sucht. Er gibt einen ersten Beschreibungsansatz: „Was ist der Krug? Wir sagen: ein Gefäß; solches, was anderes in sich faßt. Das Fassende am Krug sind Boden und Wand. Dieses Fassende ist selbst wieder fassbar am Henkel.“ Nicht abstrakter, aber begrifflicher als Simmel und Bloch nähert sich Heidegger dem Ding. Eine erste Konzeptualisierung, die allerdings nicht viel mehr abgibt als die Ausgangsstellung, um eine Reihe von Irrwegen abzugehen: weder als konfrontativ Gegenständliches, noch als Hergestelltes, noch als wissenschaftlich erforschtes Objekt wird das Ding in seiner Selbständigkeit durch das Denken erfaßt. Aber darum geht es: Soll es nicht als in Begriffen und Interpretationen aufgehend, sondern als ein eigener Faktor der Erfahrung gedacht werden, dann muss ein Zugang gefunden werden, der die Dinglichkeit als unabhängige, nicht erst durch das Vorstellen, Herstellen oder wissenschaftlich Theoretisieren erzeugte Instanz aufzufassen erlaubt. Heidegger stellt der wissenschaftlichen Erklärung, die die Füllung des Kruges „zu einem allgemeinen, überall möglichen Aggregatzustand der Stoffe“ transformiert, eine Beschreibung entgegen, die sich auf eine völlig andere Weise an das Phänomen herantastet: „Wie faßt die Leere des Kruges? Sie faßt, indem sie, was eingegossen wird, nimmt. Sie faßt, indem sie das Aufgenommene behält. Die Leere faßt in zwiefacher Weise: nehmend und behaltend. Das Wort fassen ist darum zweideutig. Das Nehmen von Einguß und das Einbehalten des Gusses gehören jedoch zusammen. Ihre Einheit aber wird vom Ausgießen her bestimmt, worauf der Krug abgestimmt ist.“ 

Dieser Ansatz einer Beschreibung nimmt, im Unterschied zu denen von Simmel und Bloch, nicht vom Ästhetischen seinen Ausgang. Das Nehmen, das Einbehalten und das Ausgießen sind nicht zuerst der sinnlichen Wahrnehmung gegeben. Solche Konzepte benennen eher Erfahrungen, die sich aus dem Spielen, Erproben und alltäglichem Hantieren ergeben; Erfahrungen mit Dingen, in die sich Flüssigkeiten gießen lassen, mit solchen, die sie behalten, und mit solchen, aus denen sie sich gießen lassen. Die Dinghaftigkeit des Kruges liegt darin, dass er eine Synthese dieser Erfahrungen bildet, die nicht im Denken, sondern in der Struktur des Kruges liegt: Anders als das Teesieb nimmt er den Einguß nicht nur, sondern behält ihn; anders als das Waschbecken erlaubt er, die Flüssigkeit wiederum auszuschenken. Die Zweideutigkeit des  krugmäßigen Fassens ist keine Ambivalenz von Worten, sondern eine Zweiwertigkeit des Dinges in der Erfahrung. Heideggers Beschreibung springt von hier zu schnell in zu weite Zusammenhänge. Jedoch gibt sie einen Ansatz, Dinghaftigkeit in Bezug auf solche Strukturzusammenhänge von Erfahrung zu denken, wenn sie weiter ausführt: „Das Fassen bedarf der Leere als des Fassenden. Das Wesen der fassenden Leere ist in das Schenken versammelt. Schenken ist aber reicher als das bloße Ausschenken. Das Schenken, worin der Krug ist, versammelt sich in das zwiefache Fassen und zwar in das Ausgiessen.“ 

Was der Krug vermag, vermag er dadurch, dass er bestimmte Möglichkeiten in seiner Dinglichkeit sammelt. Diese spezifische Zusammenfügung ist Voraussetzung des Erfahrungszusammenhangs, der sich mit dem besonderen Krugding erschließt, Erfahrungen, die sich im einzelnen auch an anderen Dingen machen lassen, deren Verbindung aber durch den Krug geleistet werden. Wenn Heidegger davon spricht, dass das Vermögen eines dinghaften Wesens, das er verbal als ‚dingen‘ auffasst, darin besteht, dass das „Dingen versammelt“, dann hat er weit ausladendere als die von mir genannten Verbindungen zu anderen Alltagserfahrungen (solche mit Teesieb, Becken u. dgl.) im Auge. Die Dimensionen, die sich für ihn im Ding kreuzen, öffnen die elementaren Strukturen von Welt überhaupt. In dem entscheidenden Punkt aber, der die Eigenständigkeit des Dings und sein Vermögen betrifft, auf die Erfahrung zu wirken, kommt Heidegger doch einem ‚Programm neuer Sachlichkeit‘, wie Adorno es nannte – aber sicherlich nicht auf Heidegger bezogen hätte – weit näher als Bloch. Denn die Ketten von Verbindungen, die nach Heidegger das Ding in sich versammelt, heften sich nicht wie die prägenden Assoziationen Blochs an Emblem und Ornament, sondern setzen am im Gebrauch Erfahrenen an: Das ausgeschenkte Getränk, Wein und Wasser, verweisen auf die Quelle, diese auf „das Gestein, in ihm der dunkle Schlummer der Erde, die Regen und Tau des Himmels empfängt.“ Eine Note prosaischer und eine Wendung pragmatischer ausgedrückt, besteht die Eigenständigkeit des Dinges und der Reichtum der mit ihm möglichen Erfahrungen darin, dass es Bezüge zur weiteren Welt in sich versammelt, Bezüge, die so an ihm sind, dass sie in Verbindung setzen, Herkünfte rückgehbar machen. Solange der Krug zum Brunnen ging, waren mit ihm – in der konkreten Erfahrung – der heiße, staubige Hof, die kühle, aus Feldsteinen gemauerte Einfassung, das Zugseil und die wunden Hände verbunden. In der Anordnung der Tätigkeiten, die es in Zeit und Raum verortet und zentriert, in der Arbeitsteilung, die den Menschen ihren Ort und Wert gibt, konnte ein solches Ding zur Konstitution einer Welt beitragen, in der nicht nur wahrgenommen, gedacht und empfunden, sondern gelebt wurde.

Eine solche Auffassung davon, wie nach Heidegger das Versammelnde in der Eigenständigkeit des Dinges zu verstehen ist, hat Albert Borgmann in seinem für die aktuelle Technikphilosophie  grundlegenden Buch Technology and the Character of Contemporary Life vertreten, wenn er den Kamin als Fokus des Familienlebens zum Paradigma des Dings erhebt. Jedoch ist genau diese Weiterentwicklung der Heidegger’schen Konzeption Anlass zu der anfangs zitierten, von Light und Roberts erhobenen Klage, die Technikphilosophie habe sich stets schon auf die Ebene von „social-normative judgements“ begeben, ohne über eine deskriptive Grundlage zu verfügen.

Gibt es nun, so stellt sich die Frage, einen Weg von Heideggers Gedankengängen zu einer angemesseneren Beschreibung von technischen Artefakten. Light und Roberts berufen sich auf Wittgensteins Begriff der übersichtlichen Darstellung, wenn sie eine Metaphernsammlung, die sich auf das Internet bezieht, als beispielhaft für eine philosophischen Methode der Beschreibung von Beschreibungen ansehen. Mit Wittgensteins Überlegungen allerdings hat ein solches Agglomerat nichts zu tun und ebenso wenig dürfte sich daraus eine überzeugende Möglichkeit entwickeln lassen, Technik(en) zu beschreiben. Der Gedanke dagegen, dass Dinge Verbindungen in sich sammeln und durch ihre eigene Struktur solche Zusammenhänge erfahren lassen, könnte Heideggers Überlegungen zum Ausgangspunkt für Beschreibungen technischer Artefakte machen, die diese weder bloß als Gegenstände ästhetischer Betrachtung noch als nahtlose Erweiterung subjektiver Intentionalität auffasst. Allerdings erforderte dies tatsächlich einen Blick „from the bottom up“ in dem Sinne, dass das Netzwerk von Handlungen und Erfahrungen, soll es eine übersichtliche Darstellung im Sinne Wittgensteins ergeben, sehr viel genauer danach zu zeichnen wäre, wie sich in konkreten Dingen Tätigkeiten und Wirkungen verbinden und dissoziieren. Eine solche Beschreibung zeichnete nicht zuerst die wahrnehmbaren Formen der Gegenstände und ebenso nicht die nur anlässlich des Dings in Fluss gebrachten Lebens- und Bewusstseinsströme; sie setzte stattdessen bei den Formen des Gebrauchs, ihren Abwandlungen, Ähnlichkeiten und Aspekten an und fragte, wie Technik als „Organisationsweise, als organisierendes und seligierendes Wie“ sich in Dingen manifestiert und durch diese konstituiert wird. 

Was eine Beschreibung in einem Feld wie dem der Technik zu leisten hat, unterscheidet sich vom distanzierten Zeichnen eines sprachlichen Bildes für das sinnliche und ist ebenso wenig durch den „Schritt zurück aus dem nur vorstellenden, d. h. erklärenden Denken in das andenkende Denken“  vollzogen. Wenn Dinge Wesen der Praxis sind, dann wollen sie nicht betrachtet und bedacht sein, wollen nicht sie beschrieben, sondern das Handeln und Erfahren, das durch sie und mit ihnen in Handlungs- und Erfahrungszusammenhängen verortet und verwickelt ist. 

Zwei Autoren kann man sicherlich nicht vorwerfen, dass sie die Materialität der Dinge in ihren Untersuchungen vernachlässigt haben: Don Ihde und Bruno Latour. Ihre Beschreibungen gehen detailliert auf Kreide und Zahnarztbesteck, Türschliesser und Sicherheitsgurt ein. Eine vielleicht nicht zufällige Gemeinsamkeit weisen sie auf: beide zeichnen nicht Dinge oder Handlungen in ihrem Gegebensein auf, sondern Transformationen nach, die sich durch die Einführung von technischen Artefakten ereignen. Ihde fragt, wie die eingesetzten Mittel die vorherigen Strukturen der Wahrnehmung verändern. Latour schildert die Umgestaltung von Handlungsprogrammen, wenn die Einführung von Artefakten alte  Funktionen in neuer Weise erfüllen. Was jeweils beschrieben wird, sind Umgestaltungen, Neugruppierungen, Überschreitungen. Vielleicht entwischt das Ding dem Denken deshalb immer aufs neue, weil es weder festen Ort noch Wesen, sondern – in Abwandlung eines Gedankens von Wittgenstein – nur dort „seine Heimat hat“, wo es tatsächlich in einer je bestimmten Weise gebraucht wird; ein Gebrauch allerdings, der sich mit den Dingen bildet und verändert.

Zitat

„We believe that philosophy of technology becomes a distinct field of applied philosophy first in its articulation of philosophical descripions of technology itself; this amounts to saying that the field should be built from the bottom up, not suspended from higher level (…) social normative judgements.“

Light, Andrew/ Roberts,David (2000): Toward New Foundations in Philosophy of Technology: Mitcham and Wittgenstein on Descriptions, in: C. Mitcham (Hrsg.) (2000): Metaphysics, Epistemology, and Technology. Research in Philosophy and Technology (Vol. 19). New York, S. 125-147.