ORGANON terminology toolbox ist ein Begriffswerkzeug für die interdisziplinäre Forschung. Die Toolbox wird entwickelt von der Forschungsstelle Verfahrensgestaltung in Kooperation mit Open Encyclopedia System (OES) und dem BUA-geförderten Projekt OrgaTerm. 

Aktuelle Webpräsenz siehe  hier.

ORGANON terminology toolbox: Ein Begriffswerkzeug für die interdisziplinäre Forschung

 

Interdisziplinäre Forschung ist mit einem notorischen Problem konfrontiert: Begriffe werden disziplinär, teils auch quer zu Disziplinen, verschiedenartig verwendet, was zu Schwierigkeiten der Verständigung und Kooperation führt.

ORGANON terminology toolbox ist als eine Plattform projektiert, die es erstmals erlaubt, Übersicht über bestehende Begriffsverwendungen zu gewinnen, die jeweils eigene, projektbezogene Begriffsarbeit im Horizont weiterer Begriffsbestimmungen zu entwickeln und nach Ablauf der Projektlaufzeit dauerhaft zu dokumentieren. Die Plattform stellt dazu Formate für qualitätsgesicherte Publikationen sowie Umgebungen für die Erarbeitung, Diskussion und Darstellung von Begriffsfeldern zur Verfügung.

Artikel:
 

GOVERNANCE

Version 1.0 (18.05.2021)

Autor: Werner Kogge

ORGANON terminology toolbox

eDoc-Server der Freien Universität Berlin

GOVERNANCE

Version 1.0 (18.05.2021)

Autor: Werner Kogge

 

Zum Wort

Das seit dem 13. Jahrhundert belegte governaunce/ governance schreibt die gesamte Bandbreite des lateinischen Verbs gubernare und des griechischen Verbs κυβερνάω (kybernáo) fort. Von der Grundbedeutung des Lenkens, Steuerns und Führens eines Schiffs wurden schon in der Antike politische (Regierungsführung), ökonomische (Haushaltsführung) und moralische (Lebensführung) abgeleitet, ebenso konnte der Begriff in Kontexten der Medizin (Diät) zur Anwendung kommen. [WK]

 

Inhalt
    1. Diskurse und Kontexte









  1. Literatur zum Begriff
  2. Weiterführende Links

 

  • Diskurse und Kontexte
      1. In der englischen und französischen Bildungssprache vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert wird unter governaunce/governance Regierung im Sinne von Regierungsausübung verstanden. Governaunce/ governance bezeichnet dabei zum einen die Instanz, die de facto die Macht in Händen hält, zum anderen die Art und Weise der Ausübung, so dass von good und bad governance die Rede sein kann. (DUNHAM/ WOOD, 744, 752; ROTULI, 464) Die Ausübung der Regierung ist in diesem Diskurs stets mit der allgemeinen Vorstellung von Leiten und Steuern assoziiert: der Begriff umfasst auch die christliche Lebensführung, die Führung des Haushalts, die Führung von Schiffen und militärischen Einheiten, die Selbstbeherrschung, die medizinische Diät und mechanische Steuerungen. [WK]

        Quellen:
        DUNHAM William Huse, Jr., WOOD Charles T.. The Right to Rule in England: Depositions and the Kingdom’s Authority, 1327–1485. The American Historical Review, Volume 81, Issue 4, October 1976, Pages 738–761, https://doi.org/10.1086/ahr/81.4.738
        DUPONT-FERRIER, Gustave. Le mot « Gouverner » et ses dérivés dans les institutions françaises du Moyen Âge. In: Journal des savants, Mars-avril 1938. pp. 49–60; https://doi.org/10.3406/jds.1938.2974
        EEBO. “governance”. In: Early English Books, online. https://quod.lib.umich.edu/… (Besucht am 16. Mai 2021). 
        MED. “governaunce”. In: Middle English Dictionary, online. https://quod.lib.umich.edu/… (Besucht am 12. Mai 2021). 
        ROTULI PARLIAMENTORUM; UT Et Petitiones, Et Placita In Parliamento. 5: Ab Anno Decimo Octavo R. Henrici Sexti ad Finem eiusdem Regni. London 1769 ff. [1461]
      2. Im wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs der Institutionenökonomie bezieht sich Governance auf Strukturen, Institutionen und Organisationen, die eingerichtet werden, um koordiniert und ökonomisch erfolgreich zu agieren. Hintergrund dieser Verwendung ist die im Liberalismus geprägte Überzeugung, dass das Regulierungssystem in der Ökonomie allein das von Markt und Preis ist. In Absetzung von dieser Doktrin führt Ronald Coase 1937 das Konzept der Firma als koordiniertes System ein (ohne den Begriff Governance zu verwenden). (COASE) Dem System des Marktes wird die Organisation der Firma als ein zweites Regulierungssystem an die Seite gestellt. Als Oliver Williamson seit den 1990er Jahren Coases Einsatz zu einer Theorie des Corporate Governance ausbaut, entsteht ein Diskurs, der Governance generell in Zusammenstellungen wie “institutions of governance (markets, hybris, hierarchies, bureaus)”, “governance structures” und “mechanisms of governance” (WILLIAMSON, 5) verwendet. Governance bedeutet hier: Regulierung durch ein System. [WK]

        Quellen:
        COASE, Ronald. “The Nature of the Firm”. In: Economica. 16.4 (1937), 386–405
        WILLIAMSON, Oliver E. The Mechanisms of Governance. New York 1996. 
      3. Im Diskurs der Politikwissenschaften wird Governance seit den 1990er Jahren in zwei unterschiedlichen Bedeutungen verwendet: Zum einen bezeichnet hier Governance eine dem klassischen Bild von staatlicher Machtausübung (government) entgegengesetzte Form des Regierens. In diesem Sinne wird Governance “zur Bezeichnung der Gesamtheit aller in einem Gemeinwesen bestehenden und miteinander verschränkten Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte benutzt” (MAYNTZ 2010, 38). Der politikwissenschaftliche Diskurs verwendet Governance aber zugleich auch unspezifisch “als Oberbegriff aller Formen sozialer Handlungskoordination”: “Governance umfasst die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln. […] Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch informelle Regelungen” (BENZ 2010, 17). Die Parallelität von Oberbegriff und auf spezielle Regulierungsweisen rekurrierendem Begriff führt innerhalb der politikwissenschaftlichen Diskurse zu einigen Schwierigkeiten in der Begriffsverständigung. (BENZ 2010 u. SCHUPPERT 2007) [WK]

        Quellen:
        BENZ, Arthur. „Einleitung“. In ders. u. Nicolai Dose (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010, 12–28.
        SCHUPPERT, Gunnar Folke. „Was ist und wozu Governance?“ In: Die Verwaltung. Zeitschrift für Verwaltung und Verwaltungswissenschaften. 40. Band (2007), 463–511.
        MAYNTZ, Renate: „Governance im modernen Staat“. In: Arthur Benz u. Nicolai Dose (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010 (1. Aufl. 2004.), 37–48.
  • Literatur zum Begriff
Arthur BENZ u. Nicolai DOSE (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010 (1. Aufl. 2004). 
BEVIR, Mark (Hrsgg.). The SAGE Handbook of Governance. London 2011. 
MAYNTZ, Renate: „Governance im modernen Staat“. In: Arthur Benz u. Nicolai Dose (Hrsgg.). Governance – Regieren in komplexen Regelsystemen. Eine Einführung. Wiesbaden 2010 (1. Aufl. 2004.), 37–48.

SCHUPPERT, Gunnar Folke. Einleitung. In: ders. u. Michael Zürn (Hrsgg.). Governance in einer sich wandelden Welt. Wiesbaden 2008, 13–42.
  • Weiterführende Links
WERDER, Axel von. „Cooporate Governance“. In: Gabler Wirtschaftslexikon. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/corporate-governance-28617/version-367554 (Besucht am 17. Mai 2021). 
WIKIPEDIA Autor:innen. “Governance”. In: Wikipedia, The Free Encyclopedia, https://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Governance&oldid=1011927890 (Besucht am 17. Mai 2021). [Anmerkung WK: In den beiden im Wikipedia-Artikel (engl.) als einschlägig angeführten Werken je mit dem Titel The governance of England (Plummer 1885 und Low 1914) findet, im Widerspruch zu der im Artikel angedeuteten Relevanz dieser Quellen, der Begriff kaum Verwendung jenseits des Titels. ] 
KREMS, Burkhardt. „governance“. Version 1.21 (16.05.2021). In: Online-Verwaltungslexikon. https://olev.de/g/governance.htm